Shardik
sondern verwandelt in einen unter Schnee begrabenen oder durch Blitz gespaltenen Felsen, ein von einer kalten Macht in für menschliches Leben unerträglichen Gebieten geschmiedeter Amboß. Gewöhnlich wurde sein Sinn für diese grauenhafte Umgebung gnädig abgeschwächt – gewissermaßen überlagert auf eine fortgesetzte Erinnerung an Fragmente seines wachen Ichs wie Spiegelungen auf einem sichtbaren Flußbett: daß er König von Bekla war, daß spitze Strohhalme in seine Beinmuskeln stachen, daß das geöffnete Tor zur Felsenhöhle am Ende der dunklen Halle ein hell erleuchtetes Viereck bildete. Einigemal jedoch war er völlig eingeschlossen und wie ein Fisch in Eis festgefroren gewesen in den Klüften der Zeit, wo die Berge ihr Leben verbrachten und zerfielen, wo die Sterne in Jahrmillionen sich zu Finsternis verzehrten; dann stürzte er zu Boden und lag, blind gegen alles, neben Shardiks zottigem Leib, bis er endlich Stunden danach mit tiefem Schmerz und trostlos im Inneren erwachte und aus der Halle stolperte, bis er mit der erschöpften, wunschlosen Erleichterung eines vom Schiffbruch Erretteten in der Sonne stand.
Unfähig zu begreifen, welche Wahrheit in diesem schrecklichen Ort verborgen sein mochte, zu dem er, wie durch eine Kompaßnadel, durch seine unveränderte Ergebenheit für Shardik geführt wurde, versuchte er doch, unbeholfen und gewissenhaft, in seiner Not eine Bedeutung, eine göttliche Botschaft abzuleiten, die sich auf das Geschick des Volkes und der Stadt anwenden ließ. Manchmal wußte er selbst, daß diese Prophezeiungen ausgedacht, nahezu erlogen, das Werk eines Betrügers waren. Oft aber erwies es sich, daß jene, von denen er mit Sicherheit wußte, daß sie aus Unbegreifen, Selbstvorwurf und einem bloßen Pflichtgefühl zusammengepfuscht waren, sich später erfüllten, tatsächlich Früchte trugen oder jedenfalls von seinen Anhängern als offenkundige Wahrheit aufgenommen wurden, während sein nebelhaftes, ehrliches Streben, in Worte zu fassen, was wie ein halb vergessener Traum seine Erinnerungs- oder Ausdrucksfähigkeit überstieg, nur Kopfschütteln und hochgezogene Schultern brachte. Am schlimmsten wirkte auf andere sein ehrliches, demütiges Schweigen.
Shardik nahm ihn Tag und Nacht in Anspruch. Die Beute in Bekla – ein für die Barone, die Soldaten und sogar für Sheldra und ihre Gefährtinnen an sich so kostbares und erfreuliches Ziel – hatte für ihn keinen Reiz. Er nahm die dem König zustehende Ehre und Stellung an und erfüllte die Rolle, die den Baronen und dem Volk Mut und Sicherheit gab, mit einem gründlichen Verständnis für ihr Bedürfnis danach und im Gefühl seiner Eignung, weil Gott ihn auserwählt hatte. Dennoch war er, wenn er den Bären in dem öden, hallenden Saal bei seinen Wut- und seinen Stumpfheitsanfällen beobachtete, überzeugt, daß im Vergleich zu dem, was noch zu enthüllen blieb, all das, was er erreicht hatte – was nach menschlichem Ermessen übernatürlich, ja beinahe von Gott ausgehend erschien –, völlig unbedeutend war. Früher, als er keine anderen Sorgen hatte, als seinen Unterhalt als Jäger zu verdienen, hatte er nur an die Erfordernisse für dieses begrenzte Ziel gedacht, wie ein Bauer sich, außer um sein Stück Land, um die ganze Welt nicht kümmert. Dann hatte ihn Shardiks Macht berührt, und er hatte, in den eigenen wie in anderer Menschen Augen, als göttlicher Emissär die Welt betreten und klar und deutlich dank dem von Gott enthüllten Wissen das Wesen seiner Aufgabe erkannt und was für ihre Ausführung nötig war; ihm, als einem Werkzeug Shardiks, war einzigartiges, nicht auf fremde Hilfe angewiesenes und jeder Unwissenheit und Ungewißheit bares Wahrnehmungsvermögen verliehen worden. Im Lichte dieser Wahrnehmung wurde allem von den anderen Menschen der Wert beigemessen, den er ihm zuschrieb; und alles wurde an den Platz gestellt, den er bestimmte. Der Großbaron von Ortelga hatte sich als ziemlich belanglos erwiesen; höchst bedeutungsvoll jedoch war anscheinend seine eigene selbstmörderische Entschlossenheit gewesen, die Nachricht von Shardiks Ankunft nach Quiso zu bringen. Nun aber schien ihm, obwohl Shardik Herr in Bekla war, diese Wahrnehmung nicht mehr hinreichend. Dauernd quälte ihn das intuitive Gefühl, daß alles bisher Geschehene kaum den Rand von Gottes Wahrheit berührte, daß er selbst noch blind war und daß noch eine große Offenbarung gesucht und gefunden, erfleht und gewährt werden müsse – eine
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