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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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Enthüllung der Welt, angesichts derer seine Stellung als Monarch für ihn so wenig bedeuten würde wie für das zusammengekauerte Geschöpf im Käfig mit seinem zottigen Fell und übelriechenden Kot. Er hatte einmal geträumt, daß er mit Prunkgewand und Krone zur alljährlichen Siegesfeier, die zu Beginn der Regenzeit stattfand, auf seinem Jägerfloß am Südufer von Ortelga entlangfuhr. »Wer ist Shardik?« rief die zwischen den Bäumen wandelnde schöne Melathys. »Das weiß ich nicht«, rief er zurück. »Ich bin nur ein unwissender, einfacher Mann.« Darauf lachte sie, nahm ihr großes Goldhalsband ab und warf es ihm über das Schilf zu; er wollte es auffangen, wußte aber, daß es wertlos war, und ließ es ins Wasser fallen. Er erwachte und sah, wie Shardik jenseits des Gitters auf und ab ging; er erhob sich, und als die Dämmerung heraufkam, stand er lange dort und betete. »Shardik, unser Herr, nimm alles übrige wieder zurück, wenn du willst, meine Macht und mein Königtum. Aber schenke mir frische Augen, um deine Wahrheit zu erkennen – die Wahrheit, zu der ich noch keinen Zutritt habe. Senandril, mein Herr Shardik. Nimm mein Leben hin, wenn du willst, aber gewähre mir, um welchen Preis auch immer, daß ich finde, was ich noch immer suche.«
    Es war dieses klare, zielbewußte Streben, das mehr noch als seine Bereitschaft, dem Bären gegenüberzutreten, mehr als seine Prophezeiungen oder sonstigen Eigenschaften seine Macht und Autorität über die Stadt aufrechterhielt und nicht nur beim Volk, sondern auch bei den Baronen, die nicht vergessen konnten, daß er einmal ein einfacher ortelganischer Jäger gewesen war, den Respekt durchsetzte. Es gab keinen, dem nicht klar war, daß Kelderek in Wahrheit der Gefangene seiner eigenen, alles verzehrenden Integrität war, daß er kein Vergnügen an Schmuck und Wein, an den Mädchen und Blumen und Schwelgereien in Bekla hatte. »Ah, er spricht mit unserem Herrn Shardik«, sagte man, wenn man ihn zu den leisen Gongschlägen über die Straßen und Plätze gehen sah. »Wir leben im Sonnenschein, denn er nimmt die Dunkelheit der Stadt auf sich.«
    »Mir verursacht er kalte Schauer, wirklich«, sagte die Kurtisane Hydraste zu ihrer hübschen Freundin, als sie sich an einem heißen Nachmittag aus ihrem Fenster beugten. »Du könntest ihm nicht einmal das tun«, antwortete ihre Freundin und schnellte eine reife Kirsche hinunter auf einen jungen Mann, der vorbeiging, und lehnte sich noch etwas weiter über das Fensterbrett.
    Für ihn selbst war seine Integrität ungezwungen, verwurzelt im Drang, eine Wahrheit zu suchen, zu entdecken, von der er fühlte, daß sie weit über seinen in Ortelga erzielten Erfolg, weit über seine Rolle als Priesterkönig hinausging. In seinen Prophezeiungen und Interpretationen verriet er weniger diese Integrität als den Versuch, angesichts seiner Zeitnot, wenn er sein erstrebtes Ziel erreichen wollte, sich der Notwendigkeit anzupassen; ebenso wie ein Arzt, der endlich kurz vor Entdeckung der wahren Krankheitsursache zu stehen glaubt, sie vielleicht weiter mit konservativen Methoden behandelt, nicht aus irgendwelcher Täuschungs- oder Ausbeutungsabsicht, sondern weil es, solange er sein großes Ziel nicht erreicht, nichts Besseres gibt. Kelderek hätte Shardik, um an bestimmten Tagen ungefährdet vor dem Volk neben ihm stehen zu können, betäuben, er hätte Menschenopfer oder sorgfältig durchdachte Formen eines Zwangszeremoniells einführen können, so groß war die Verehrung, die man ihm darbrachte, dennoch ging er statt dessen eine Lebensgefahr ein und ertrug die Einsamkeit im Halbdunkel der Halle, wo er dauernd über ein unverstandenes Mysterium betete und meditierte. Es gab etwas zu entdecken, etwas, das sich nur unter großen Opfern erreichen ließ, das einzige, was zu erreichen sich lohnte, neben dem alle älteren Religionen wie klägliche Fragmente des Aberglaubens, wie eine Geheimlehre wirken würden, so seicht wie zwischen Kindern geflüsterte Geheimnisse. Das würde Shardiks höchstes Geschenk für die Menschen darstellen. Und darum wußte Kelderek, daß sein Priestertum, das anderen Menschen einer noch weiteren Verherrlichung unfähig und damit als Verfahren und in seinem Charakter unwandelbar erschien, nämlich als eine Angelegenheit des zur vorgeschriebenen Zeit ausgeführten Gottesdienstes und Zeremoniells, in Wahrheit eine alles fordernde Suche war, bei der stets Zeit verging und seine Schritte nie zweimal denselben Boden

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