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Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
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Vielleicht bringt der Scherz eines Kameraden oder ein nur knapp sein Ziel verfehlendes Geschoß den einstmals tapferen Soldaten dazu, daß er den Kopf in den Händen verbirgt, weint und stammelt; ebenso wie morsche Sparren schließlich nur noch aus Splittern, Wurmlöchern und Staub bestehen. Manchmal geschieht nichts, was die Katastrophe und den langsamen Zerfall beschleunigt, der von außen – durch den Wassertank in der windstillen Wüste oder den Kommandeur der einsamen, gefährdeten Garnison – unbeeinflußt ununterbrochen fortschreitet, bis nichts mehr übrig ist, was man wiederherstellen könnte. Schon gab es den König von Bekla nicht mehr, doch das hatte der ortelganische Jäger noch nicht erkannt.
    Shardik hatte den Rand des Vorgebirges bald nach Einbruch der Dämmerung erreicht. Es war eine wilde und einsame Gegend, das Gelände wurde immer schwieriger. Kelderek kletterte durch dichten Baumbestand oder zwischen umgestürzten Felsen, wo er oft keine zehn Meter weit sehen konnte. Manchmal folgte er dem intuitiven Gefühl, daß der Bär diesen Weg genommen haben mußte, und kam zu einem freien Platz, wo er sich verstecken mußte, weil Shardik hinter ihm aus dem Wald getrottet kam. Er war dauernd in Lebensgefahr. Aber mit dem Bären war eine Veränderung vorgegangen – eine Veränderung, die Kelderek im Laufe der Zeit immer klarer wurde, so daß sich seinem eigenen Leiden Mitgefühl beimengte und schließlich auch Angst vor weiteren Geschehnissen.
    Wie in dem prächtigen Haus einer großen Familie, wo früher abends in vielen Fenstern Licht brannte, wo Kutschen Verwandte und Freunde brachten, wo Neuigkeiten kamen und gingen, Beweis und Mittel der Größe und der Autorität über die ganze Umgebung, wo aber jetzt der verwitwete Hausherr, dessen Erbe im Krieg gefallen ist, den Lebensmut verliert und sich allmählich aufgibt, wie in einem solchen Haus ein paar Kerzen brennen, die ein alter Diener bei Sonnenuntergang angezündet hat, der sein Bestes tut und gezwungenermaßen manches sein läßt, so flackerten Bruchteile von Shardiks Kraft und Wildheit auf, ein naher Schatten ließ ahnen, was er einst gewesen war. Er wanderte weiter, vor Angriffen sicher – denn wer würde wagen, ihn anzugreifen? –, doch fast, so schien es zumindest, ohne Kraft zur Selbstverteidigung. Als er an der Leiche eines vor kurzem verendeten Wolfes vorbeikam, schickte er sich kraftlos an, ihn zu verzehren. Kelderek hatte den Eindruck, daß die Sehkraft des Bären nachgelassen hatte, und das machte er sich nach einiger Zeit zunutze, indem er ihm in größerer Nähe folgte, als er oder das behendeste von den Mädchen es seinerzeit auf Ortelga gewagt hätten; so vermochte er seine Ausdauer sogar zu verlängern, obwohl seine Hoffnung, in dieser Wildnis jemanden zu finden, der ihm helfen oder Nachricht von ihm nach Bekla bringen könnte, immer geringer wurde.
    Am Nachmittag stiegen sie aus dem Tal eine steile Anhöhe empor und kamen zu einem über den Wäldern ostwärts führenden Kamm, über den sie ihre langsame und geheimnisvolle Wanderung fortsetzten. Einmal erblickte Kelderek, aus seinem Wachtraum munter geworden, in dem seine Leiden ihm wie träge an seinem Körper hängende Fliegen erschienen, den Bären hoch vor sich auf einem Felsen; er hob sich klar gegen den Himmel ab und blickte auf die beklanische Ebene hinunter. Er schien nicht weitergehen zu können, sein Körper war unnatürlich gekrümmt, und als er sich schließlich bewegte, hing die eine Schulter nach unten, und er hinkte wie ein Krüppel. Als er aber selbst zu dem Felsen kam, sah er, wie Shardik in gleicher Entfernung von ihm wie zuvor unten den Felsvorsprung überquerte.
    Als Kelderek zum Fuß der Hügelkette kam, befand er sich am oberen Ende einer kahlen Wüste, die weithin von einem ähnlichen Wald eingesäumt wurde, wie sie ihn am Vortag durchwandert hatten. Von Shardik keine Spur.
    Als es nun zu dämmern begann, verlor Kelderek endlich sein klares Bewußtsein. Kräfte und Denken versagten ihm den Dienst. Er suchte nach den Spuren des Bären, vergaß aber, wo er schon gesucht hatte, und dann sogar, was er eigentlich suchte. Er kam zu einem Teich, trank und steckte dann die Füße, um sich zu entspannen, ins Wasser, schrie jedoch auf bei dem heftigen, stechenden Schmerz. Er fand einen schmalen Pfad – nicht mehr als ein Kaninchenweg – zwischen den Grasbüscheln, kroch dort auf Händen und Knien und murmelte: »Nimm mein Leben hin, mein Herr Shardik«, obwohl er

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