Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Shardik

Titel: Shardik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Adams
Vom Netzwerk:
meisten wüßten nicht, wohin sie gehen könnten.«
    »Dann würdest du sie nicht als Sklaven bezeichnen?«
    »Sie sind Sklaven, wenn sie herkommen – vernachlässigte, verlassene, manchmal mißhandelte Sklaven. Wir versuchen, sie zu befreien, aber es ist oft gar nicht leicht.«
    Siristru begriff allmählich den Zusammenhang zwischen diesem Tatbestand und gewissen Dingen, welche die junge Frau ihm bei ihrem vorangegangenen Gespräch gesagt hatte.
    »Hat es etwas mit eurem Herrn Shardik zu tun?«
    »Was hast du denn von unserem Herrn Shardik gehört?« fragte der Statthalter mit erstaunter Miene.
    »Deine Frau sprach von ihm und auch von der Feier. Auch sangen die Fährleute auf dem Floß heute morgen – ›Shardik gab sein Leben für die Kinder.‹ Es würde mich interessieren, etwas mehr über den Shardikkult zu hören, wenn du mir davon erzählen wolltest. Mich interessieren solche Dinge, und ich war in meiner Heimat ein – nun, ich nehme an, du würdest mich einen Lehrer nennen.«
    Der Statthalter starrte in seinen Silberbecher, ließ den Wein darin kreisen, blickte auf und grinste.
    »Das ist mehr, als ich bin oder je sein werde. Ich bin nicht sehr geschickt mit Worten – ein Glück, daß ich sie nicht brauche, um unserem Herrn Shardik zu dienen. Die Lehre, wie du es nennst, lautet einfach, daß es kein verlassenes oder unglückliches Kind auf der Welt geben darf. Schließlich ist das die einzige Sicherheit der Welt: Kinder sind die Zukunft, verstehst du. Wenn es keine unglücklichen Kinder gäbe, wäre die Zukunft gesichert.«
    Er sprach mit einer Art bescheidener Selbstsicherheit, wie ein Bergführer zu Reisenden von Pässen und Gipfeln spricht, die er trotz ihrer einsamen Wildheit gut kennt. Siristru hatte nicht alles Gesagte verstanden, und da es ihm schwerfiel, Fragen in der Sprache seines Gegenübers zu formulieren, half er sich durch die Wiederholung der Worte, die er aus dem Munde des anderen gehört hatte.
    »Du sagtest, vernachlässigte und verlassene Sklaven? Was heißt das?«
    Der Statthalter erhob sich, ging langsam zum Fenster und blickte zum Hafen hinaus. Seine nächsten Worte kamen zögernd, und Siristru erkannte mit einiger Überraschung, daß er wohl selten oder nie Gelegenheit gehabt hatte, sich über dieses Thema auszulassen.
    »Kinder – sie werden aus Vergnügen und Freude geboren – oder sollten es werden. Und Gott will, daß sie – wasserdicht, wie ein fehlerfreies Kanu aufwachsen, geeignet für Arbeit und Spiel, Kauf und Verkauf, Lachen und Weinen. Sklaverei – wirkliche Sklaverei bedeutet die geraubte Chance der vollen Entwicklung. Die Unerwünschten, die Beraubten und Imstichgelassenen, die sind wirklich Sklaven – auch wenn sie es selbst nicht wissen.«
    Siristru wünschte nicht, sich allzusehr hineinziehen zu lassen. Man konnte gewiß ein höfliches Interesse für fremde Religionen und Bräuche zeigen, etwas anderes war es aber, als Zielscheibe für den Eifer eines unkultivierten Mannes angesehen zu werden.
    »Nun ja – vielleicht gibt es verlassene Kinder, denen das nicht soviel ausmacht.«
    »Wer von ihnen hat dir das gesagt?« fragte der Statthalter mit einer so komischen Nachahmung echten Interesses, daß Siristru unwillkürlich lachen mußte. Er fragte sich aber, wie er diesen Teil des Gespräches am besten beenden könnte. Er selbst hatte ihn durch seine Fragen aufs Tapet gebracht, und es wäre unhöflich, nun einfach das Thema zu wechseln. Er würde lieber einen anderen Aspekt der Sache ins Auge fassen und dann auf weniger heiklen Boden hinübergleiten. Bei der Diplomatie kam es sehr darauf an, die Menschen nicht aus der Fassung zu bringen.
    »Shardik – du sagst doch, er war ein Bär?«
    »Ja, unser Herr Shardik war ein Bär.«
    »Und er war – kam von Gott? Den Ausdruck kenne ich leider nicht.«
    »Gottgesandt.«
    »Ach ja, danke.«
    »Er war Gottes Kraft, aber er war ein wirklicher Bär.«
    »Vor langer Zeit?«
    »Nein – ich selbst war dabei, als er starb.«
    »Da?«
    Der Statthalter sagte nichts mehr, und nach einer Weile versuchte es der nun ehrlich interessierte Siristru mit der Frage: »Ein Bär – und doch sprichst du von seiner Lehre. Wie lehrte er?«
    »Er tat uns durch seinen frommen Tod die Wahrheit kund, die wir nie verstanden hatten.«
    Siristru war nun schon ein wenig unsicher, unterließ ein Hochziehen der Schultern, konnte sich aber nicht enthalten, mit scheinbarer Offenheit und Selbstanklage zu fragen:
    »Wäre es nicht für einen dummen

Weitere Kostenlose Bücher