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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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aufgedonnert und wild drauf.«
    Die alte Frau hielt eine verschrumpelte Hand hoch. Eine dicke schwarze schloss sich über ihr.
    »Party«, sagte sie.
    »Sicher, da gibt’s eine Party. Und du bist so hübsch, Clara Celia Lipschitz, dass du die Schönste auf der Party sein wirst. All die hübschen Jungs werden sich in der Schlange aufstellen, um mit dir zu tanzen.«
    Ein Tränenstrom.
    »Na, komm, C.C., jetzt ist aber Schluss. Er kommt, er bringt dich zu der Party - Sie müssen so gut wie möglich aussehen.«
    Mehr Anstrengungen, um zu sagen: »Spät.«
    »Nur ein bisschen spät, Clara Celia. Er ist wahrscheinlich in’nen Verkehrsstau geraten - Sie wissen schon, ich habe Ihnen erzählt, wie das ist, wenn sie aus allen Richtungen kommen und nichts mehr geht. Oder vielleicht hat er an einem Blumenladen gehalten, um Ihnen ein schönes Bouquet zum Anstecken zu kaufen. Hübsches rosa Orchideenbouquet, wie Sie es mögen, er weiß das.«
    »Spät.«
    »Nur ein bisschen«, wiederholte er und schob den Rollstuhl wieder weiter. Ich schloss mich ihm an.
    Er fing an zu singen, leise, mit einem schönen Tenor, so hoch, dass er an Falsett grenzte. »Now C., C.C. Rider. C’mon see , baby, what you have done …«
    Die Musik und das fortwährende Rollen der Gummiräder auf dem Bürgersteig verschmolzen zu einem Wiegenliedrhythmus. Der Kopf der alten Frau fing an hin- und herzuschlenkern.
    »… C.C. Lipschitz, see what you have done …«
    Wir hielten unmittelbar gegenüber dem King Solomon an. Castlemaine sah nach links und rechts und schob den Rollstuhl über den Bordstein.
    »… you made the all the handsome boys love you … and now your man has come .«
    Mrs. Lipschitz schlief. Er schob sie über den grünen Zement, grüßte einige der anderen alten Leute, kam zum Rand der Rampe und sagte mir: »Warten Sie hier. Ich komme zu Ihnen zurück, sobald ich fertig bin.«
    Ich stand herum, wurde von einem dickbäuchigen alten Mann in ein Gespräch verwickelt, der ein gutes Auge hatte und eine Kriegsveteranenmütze trug; er behauptete, er hätte mit Teddy Roosevelt am San Juan Hill gekämpft, wartete dann streitlustig, als rechne er damit, dass ich es bezweifelte. Als ich es nicht tat, begann er eine Vorlesung über die US-Politik in Lateinamerika und war zehn Minuten später, als Castlemaine wieder kam, mitten drin.
    Ich schüttelte die Hand des alten Mannes, sagte ihm, es wäre sehr interessant gewesen.
    »Ein kluger Junge«, sagte er zu Castlemaine.
    Der Pfleger lächelte. »Das bedeutet wahrscheinlich, Mr. Cantor, dass er Ihnen nicht widersprochen hat.«
    »Was heißt widersprochen? Es ist , wie es ist, man muss diese Scheißliberalen an der Kandare halten, sonst nehmen sie einem die Butter vom Brot.«
    »Es ist nun so, dass wir gehen müssen. Mr. Cantor.«
    »Ja, wer hält Sie denn auf? Gehn Sie. Gehn Sie weg.«
    Wir gingen zurück über den grünen Zement.
    »Wie wär’s mit einer Tasse Kaffee?«, fragte ich.
    »Trinke keinen Kaffee. Lassen Sie uns ein Stück gehen.« Wir bogen nach links in die Edinburgh ein und schlenderten an noch mehr alten Leuten vorbei. An schwitzenden Fenstern und Kochgerüchen, trockenen Rasen und modrigen Hauseingängen.
    »Ich erinnere mich nicht an Sie«, sagte er. »Nicht an eine bestimmte Person. Ich erinnere mich, dass Dr. Ransom mit einem Mann gekommen ist, weil es nur ein Mal geschah.« Er sah mich von oben bis unten an. »Nein. Ich kann nicht sagen, dass ich mich erinnere, dass Sie es waren.«
    »Ich sehe anders aus«, sagte ich. »Hatte einen Bart, längeres Haar.«
    Er zuckte mit den Achseln. Ich merkte, dass er nichts über Sharons Schicksal erfahren hatte, biss die Zähne zusammen und sagte: »Dr. Ransom ist tot.«
    Er blieb stehen, legte beide Hände aufs Gesicht. »Tot? Seit wann?«
    »Seit einer Woche.«
    »Wie?«
    »Selbstmord, Mr. Castlemaine. Es stand in den Zeitungen.«
    »Lese nie Zeitung - habe schon genug schlechte Nachrichten vom Leben. O nein, so ein liebes, wundervolles Mädchen. Ich kann’s nicht glauben.«
    Ich sagte nichts.
    Er schüttelte immer weiter den Kopf.
    »Was hat sie so tief bedrückt, dass sie losgehen und so was tun musste?«
    »Das möchte ich rausfinden.«
    Seine Augen waren feucht und blutunterlaufen. »Sind Sie ihr Mann?«
    »Ich war’s, vor Jahren. Wir hatten einander lange nicht mehr gesehen, trafen uns auf’ner Party. Sie sagte, etwas mache ihr Sorgen. Ich habe nie erfahren, was es war. Zwei Tage später war sie tot .«
    »O Herrgott, das ist einfach

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