Sharon: die Frau, die zweimal starb
angeblich, weil er eines von ihren Kindern behandelt hatte. Aber sie scheint keine Kinder zu haben.«
»Gott«, sagte er. »Hast du je das Gefühl gehabt, Alex: Wir spielen das Spiel von jemand anderem nach den Spielregeln von jemand anderem? In jemandes anderem gottverdammtem Stadion?«
Milo war einverstanden, sich jetzt um Texas zu kümmern, und ich, sagte er, bevor er auflegte, sollte auf Rückendeckung achten.
Ich wollte wieder Olivia anrufen, aber es war kurz vor elf; sie und Albert waren schon zu Bett, so wartete ich bis neun am nächsten Morgen, rief ihr Büro an, und man sagte mir, Mrs. Brickerman sei heute Morgen geschäftlich in Sacramento und würde in Kürze zurückerwartet.
Ich versuchte, Elmo Castlemaine in den King Solomon Gardens zu erreichen. Er war wieder auf Schicht, mit einem Patienten beschäftigt. Ich stieg in den Seville und fuhr zum Fairfax District und der Edinburgh Street.
Das Altersheim war eines von einem Dutzend kastenförmigen zweistöckigen Gebäuden entlang einer schmalen, baumlosen Straße.
King Solomons Gardens hatte keine Gärten, nur eine bis zum Dach reichende Dattelpalme mit massigem Stamm links von der Doppelglaseingangstür. Das Gebäude war weiß mit stahlblauen Simsen. Eine mit blauem Astroturf bedeckte Rampe diente als Zugang anstelle einer Eingangstreppe. Zement war dort, wo der Rasen hätte sein sollen, hospitalgrün gestrichen und mit Klappstühlen möbliert. Alte Leute saßen mit Sonnenschirmen, Taschentüchern und Gummistrümpfen versehen da, fächelten sich Luft zu, spielten Karten oder starrten einfach so ins Leere, in den Weltraum.
Ich fand einen Parkplatz halbwegs in der Nähe des Altersheimes und ging zurück, als ich einen untersetzten Schwarzen auf der anderen Straßenseite entdeckte, der einen Rollstuhl schob. Ich beschleunigte meinen Schritt und bekam einen besseren Blick: weiße Jacke über Bluejeans. Kein Korkenzieherbart, kein Ohrring. Der Schädel fast völlig kahl, der dickliche Körper weich. Das Gesicht breiter, Doppelkinn, aber er war der, den ich in Resthaven getroffen hatte.
Ich überquerte die Straße und holte ihn ein. »Mr. Castlemaine?«
Er hielt, drehte sich um. Eine alte Frau saß im Rollstuhl. Sie reagierte überhaupt nicht. Trotz der Hitze trug sie einen bis zum Hals hinauf zugeknöpften Pullover und eine indianische Jacke auf den Knien. Ihr Haar war dünn und brüchig, schwarz gefärbt. Eine Brise blies hindurch, legte weiße Flecke der Schädelhaut frei. Sie schien zu schlafen, ihre Augen waren offen.
»Das bin ich.« Dieselbe hohe Stimme. »Nun, wer sind Sie denn?«
»Alex Delaware. Ich habe Ihnen gestern eine Nachricht hinterlassen.«
»Das hilft mir nicht viel. Ich kenne Sie immer noch nicht besser als vor zehn Sekunden.«
»Wir haben uns vor Jahren - vor sechs Jahren - kennengelernt. In Resthaven Terrace. Ich kam mit Sharon Ransom. Auf Besuch zu ihrer Schwester Shirlee.«
Die Frau im Rollstuhl fing an zu schnüffeln und zu wimmern. Castlemain beugte sich hinab, tätschelte ihren Kopf, zog ein Taschentuch aus den Jeans und tupfte ihr die Nase ab. »Nun, nun, Mrs. Lipschitz, es ist okay, er kommt und holt Sie.«
Sie machte einen Schmollmund.
»Beruhigen Sie sich, liebe Mrs. Lipschitz, Honey, Ihr Kavalier kommt, machen Sie sich keine Sorgen.«
Die Frau hob das Gesicht. Sie hatte scharfe Züge, zahnlos, faltig wie eine weggeworfene Einkaufstüte. Ihre Augen waren hellbraun und stark geschminkt. Ein hellroter Fleck Lippenstift war über den runzligen Riss eines Mundes geschmiert. Irgendwo hinter Falten und Verfall, der Maske der Kosmetika, leuchtete ein Funken Schönheit.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Och, Mrs. Lipschitz«, sagte Castlemaine.
Sie zog sich die Decke bis zum Mund, fing an, auf dem rauen Stoff herumzukauen.
Castlemaine wandte sich mir zu und sagte leise: »Sie erreichen ein gewisses Alter, da können sie nicht mehr warm werden, egal, was für Wetter. Kriegen nie mehr die volle innere Wärme.«
Mrs. Lipschitz schrie auf. Ihre Lippen versuchten ein Wort zu formen, schließlich gelang es ihr: »Party!«
Castlemain kniete neben ihr, zog die Decke sachte von ihrem Mund weg und stopfte sie um sie herum fest. »Du gehst auf die Party, Liebling, aber du musst aufpassen, dass du dir mit den Tränen nicht das Make-up kaputtmachst, okay?«
Er legte zwei Finger unters Kinn der alten Dame und lächelte. »Okay?« Sie sah zu ihm auf und nickte.
»Gu-ut. Und wir sehen heute hübsch aus, Liebes. Voll
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