Sharon: die Frau, die zweimal starb
erstickte fast an der Gegenwartsform. »Ja, sie ist hübsch.«
»Meine Sharon … Brief … woll’n sehen?«
»Ja, gern.«
Sie sah auf den Schlauch hinab, schien in Gedanken versunken. »Warten.« Langsam, überlegt, ging sie rückwärts, weg von den Setzlingen und zum Wassertank. Sie brauchte lange, bis sie den Hahn abgedreht, und sogar noch länger, bis sie den Schlauch ordentlich am Boden zusammengelegt hatte. Als sie damit fertig war, sah sie mich stolz an.
»Großartig«, sagte ich. »Nette Bäume.«
»Hübsch. Apfel. Miss Leiderk mir und Jasper gegeben. Babybaum.«
»Haben Sie sie selbst gepflanzt?«
Kichern. »Nein. Gabi-el.«
»Gabriel?«
Nicken. »Wir kümmern uns richtig gut drum.«
»Dessen bin ich sicher, Shirlee.«
»Ja.«
»Kann ich den Brief von Sharon sehen?«
»Ja.«
Ich folgte ihrem Plattfußschlurfen in eine der Baracken. Die Wände waren gipsgetäfelt und mit einer Tapete beklebt, die von streifenförmigen Wasserflecken bedeckt war; der Fußboden aus Sperrholz; die Decke nackte Balken. Mittels einer Spanplatte hatte man den Raum in zwei Teile geteilt. Die eine Hälfte war die Geräteecke - kleiner Kühlschrank, elektrische Kochplatte, uralte Walzenwaschmaschine, Kartons mit Seifenpulver und Insektizid standen neben dem Kühlschrank.
Auf der anderen Seite gab es eine niedrige Decke, auf dem Boden lag ein Stück orangefarbener Teppich für innen und außen. Ein weißgestrichenes, gusseisernes Bett, auf dem eine Armeedecke in Übergröße lag, füllte fast den Raum aus. Die Decke war festgezogen, mit militärischen Ecken. An einer Wand stand ein elektrisches Heizgerät. Die Sonne schien sanft und warm durchs Wachspapierfenster herein. Ein Besen stand in einer Ecke. Er war gut genutzt worden: Der Raum war blitzblank.
Das einzige andere Möbelstück war eine kleine Kommode aus rohem Kiefernholz. Ein Karton mit Malstiften stand darauf zusammen mit Bleistiftstummeln und Packen mit einfachem Zeichenpapier, ordentlich gestapelt und mit einem Stein beschwert. Das oberste Blatt war eine Zeichnung. Äpfel. Primitiv. Kindlich.
»Haben Sie das gezeichnet, Shirlee?«
»Jasp. Er ist ein guter Zeichner.«
»Ja, stimmt. Wo ist er jetzt?«
Sie verließ die Baracke und deutete auf das Toilettenhaus.
»Aha.«
»Zeichnet richtig gut.«
Ich nickte Zustimmung. »Der Brief, Shirlee?«
»Oh.« Sie lächelte breiter, stupste sich mit der Faust gegen die Wange. »Ich vergessen.«
Wir gingen ins Schlafzimmer zurück. Sie zog eine der Schubladen der Kommode auf. Darin lagen präzise geordnete Häufchen mit Wäsche - mehr von dem ausgebleichten Zeug, das ich auf der Wäscheleine gesehen hatte.
Sie schob eine Hand unter die Kleider, zog einen Umschlag hervor und reichte ihn mir.
Mit schmutzigen Fingerabdrücken übersät, dünn geworden vom vielen Anfassen. Der Poststempel: Long Island, New York 1971. Die Adresse war mit großen Blockbuchstaben geschrieben:
MR. UND MRS. RANSOM
RURAL ROAD 4
WILLOW GLEN, CALIFORNIA
Darin war ein einziges Blatt weißen Briefpapiers. Auf dem Briefkopf stand:
FORSYTHE TEACHERS COLLEGE FOR WOMEN
WOODBURN MANOR
LONG ISLAND, N.Y. 11946
Dieselben Blockbuchstaben hatte sie für den Text benutzt:
LIEBE MOM UND LIEBER DAD,
ICH BIN HIER IN DER SCHULE. DER FLUG WAR GUT. ALLE SIND NETT ZU MIR, ABER IHR FEHLT MIR SEHR.
BITTE DENKT DRAN, DIE FENSTER EINZUSETZEN, BEVOR DIE REGENZEIT KOMMT. SIE KOMMT VIELLEICHT SCHON FRÜH, ALSO BITTE SEID VORSICHTIG. ERINNERT EUCH, WIE NASS IHR LETZTES JAHR GEWORDEN SEID. WENN IHR HILFE BRAUCHT, WIRD MRS. LEIDECKER HELFEN. SIE SAGTE, SIE WIRD NACHGUCKEN UND SEHEN, OB IHR OKAY SEID.
DAD, DANKE FÜR DIE SCHÖNEN ZEICHNUNGEN. ICH HABE SIE MIR IM FLUGZEUG ANGESEHEN. ANDERE LEUTE HABEN SIE GESEHEN UND GESAGT, SIE WÄREN SCHÖN. GUT GENUG ZUM ESSEN. ICH BEHALTE ZEICHNUNG. SCHICK MIR MEHR. MRS. LEIDECKER HILFT EUCH, SIE MIR ZU SCHICKEN.
IHR FEHLT MIR. ES WAR SCHWER, EUCH ZU VERLASSEN. ABER ICH MÖCHTE WIRKLICH LEHRERIN WERDEN UND ICH WEISS, DASS IHR ES AUCH WOLLT. DIES IST EINE GUTE SCHULE. WENN ICH EINE LEHRERIN BIN, KOMME ICH ZURÜCK UND UN-TERRICHTE IN WILLOW GLEN. ICH VERSPRECHE ZU SCHREIBEN. PASST GUT AUF EUCH AUF.
EURE SHARON
(EUER EINZIGES KLEINES MÄDCHEN)
Ich schob den Brief zurück in den Umschlag. Shirlee Ransom sah mich an und lächelte. Ich brauchte mehrere Sekunden, bis ich sprechen konnte.
»Das ist ein netter Brief, Shirlee. Ein schöner Brief.«
»Ja.«
Ich gab ihn ihr zurück. »Haben Sie noch mehr?«
Sie
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