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Sharon: die Frau, die zweimal starb

Sharon: die Frau, die zweimal starb

Titel: Sharon: die Frau, die zweimal starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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schleuderte auf dem glatten Stroh. Schließlich fassten die Reifen, und ich kam auf den Weg hinauf. Ich fuhr den Wagen zentimeterweise vorwärts, an der Presse vorbei, in einem Meer von Unkraut. Die Senke stellte sich als ein Feldweg heraus, und ich fuhr schneller, kreuzte ein breites Feld. Am entfernten Ende war ein Wald aus Trauerweiden. Zwischen den hängenden Blättern der Bäume Andeutungen von Metall - weitere Wellblechhäuser.
    Shirlee und Jasper Ransom schienen nicht von der gastfreundlichen Sorte.
    Wendy hatte es für unwahrscheinlich gehalten, dass sie je Eltern gewesen waren, hatte lieber den Mund gehalten, als zu erklären, warum. Wollte nicht »unfreundlich« sein.
    Oder hatte sie Angst gehabt?
    Vielleicht war Sharon vor ihnen geflüchtet - von diesem Ort geflohen -, aus gutem Grund, hatte Fantasien von einer reinen und perfekten Kindheit ausgebildet, um sich gegen eine Realität abzuschirmen, die zu schrecklich war, als dass sie sie ertragen konnte.
    Ich fragte mich, worauf ich mich einließ. Meine eigene Jasper/Shirlee-Fantasie schwamm an mir vorüber: mammuthafte ländliche Mutanten, zahnlos und mit glasigen Augen, in schmierigen Overalls, umgeben von einer Meute geifernder Köter mit Fangzähnen, und meine Ankunft begrüßten sie mit einer Schrotladung.
    Ich hielt an, lauschte auf Hunde. Stille.
    Ich sagte mir, eine weniger lebhafte Fantasie sei besser, und gab Gas.
    Als ich die Weiden erreichte, gab es keine Stelle, an der ich mit dem Wagen hineinkonnte. Ich schaltete die Zündung aus, stieg aus, ging unter die herabhängenden Zweige und durch das Wäldchen. Hörte Wasser plätschern. Eine Stimme etwas summen, was keine Melodie war. Dann kam ich zur Wohnung von Jasper und Shirlee Ransom.
    Zwei Baracken auf einem schmalen Stück Erdboden. Zwei winzige, primitive Gebäude, die Seiten aus unregelmäßig geschnittenem Holz und das Dach mit Blech gedeckt. An Stelle von Fenstern: Wachspapier. Zwischen den Baracken stand ein hölzernes Außenklo mit einem sichelförmigen Loch in der Tür. Eine Wäscheleine aus Hanf war zwischen dem Toilettenhaus und einer der Baracken gespannt. Ausgeblichene Kleidungsstücke hingen an der Leine. Hinter dem Toilettenhaus stand ein Wassertank auf Metallklammern, daneben ein kleiner Stromgenerator.
    Die Hälfte des Besitzes war mit Apfelbäumen bepflanzt - ungefähr ein Dutzend Setzlinge, ganz junge Bäume, an Stangen gebunden und mit Schildern versehen. Eine Frau stand da und bewässerte sie mit einem Gartenschlauch, der am Wassertank hing. Wasser tropfte ihr zwischen den Fingern herunter, und es sah aus, als ob sie urinierte und die Bäume mit ihrer eigenen Körperflüssigkeit tränkte. Das Wasser platschte auf den Boden, kam in einem dreckigen Wirbel zur Ruhe, verwandelte sich in Schlammsuppe.
    Sie hatte mich nicht gehört. In den Sechzigern, untersetzt, sehr klein - ein Meter achtundvierzig oder fünfzig -, graues, zum Pagenkopf geschnittenes Haar und breite, teigige Gesichtszüge. Sie kniff die Augen zusammen, ihr Mund stand offen und betonte die herabhängenden Backen. Ein Haarbüschel spross an ihrem Kinn. Sie trug einen einteiligen Kittel aus blauem bedrucktem Material, das einem Bettbezugsstoff ähnelte. Der untere Saum war uneben. Ihre Beine waren weiß und dick, puddingweich und unrasiert. Sie packte den Schlauch mit beiden Händen, als ob es eine lebendige Schlange wäre, und konzentrierte sich auf das Bewässern.
    »Hallo«, sagte ich.
    Sie drehte sich um, kniff die Augen mehrmals zusammen, hob den Schlauch dabei an. Das Wasser spritzte gegen den Stamm eines Setzlings.
    Ein Lächeln. Treuherzig. Harmlos.
    Sie winkte mit der Hand, versuchsweise, wie ein Kind, das einen fremden Menschen trifft.
    »Hallo«, wiederholte ich.
    »Hallo.« Ihre Aussprache war schlecht.
    Ich kam näher. »Mrs. Ransom?«
    Das erstaunte sie.
    »Shirlee?«
    Mehrfaches schnelles Nicken. »Da’ bin’. Shirlee.« In ihrer Aufregung ließ sie den Schlauch fallen, und er fing an, herumzuwirbeln und zu spritzen. Sie versuchte ihn zu greifen, schaffte es nicht, bekam einen Wasserstrahl genau ins Gesicht, schrie auf und warf die Hände hoch. Ich bekam die verdreckte Gummischlange zu fassen, bog sie herum, wusch sie ab und gab sie ihr zurück.
    »Danke, Sir.«
    »Shirlee, ich heiße Alex. Ich bin ein Freund von Sharon.« Ich bereitete mich auf einen Ausbruch von Schmerz und Trauer vor, bekam ein weiteres Lächeln. Strahlender. »Hübsche Sharon.«
    Mein Herz tat weh. Ich zwang die Worte heraus,

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