Sharpes Feuerprobe
freundlich zu ihm gewesen war. Biddy Hakeswill war schon lange tot. Sie war gestoben, bevor der zwölfjährige Obadiah wegen Schafsdiebstahls am Galgengerüst gebaumelt hatte und der Henker zur Belustigung der Zuschauermenge keinen der Todeskandidaten des Tages vom Galgen fallen gelassen, sondern sanft in die Luft gehoben hatte, damit er langsam erstickte, während seine mit Urin getränkten Beine im Todestanz unter dem Galgen zuckten.
Keiner hatte viel Notiz von dem kleinen Jungen unter dem Galgen genommen, und als der Himmel seine Schleusen öffnete und der Sturzregen die Zuschauer vertrieb, hatte sich niemand darum gekümmert, dass Biddy Hakeswills Bruder den Jungen vom Strick abgeschnitten und freigelassen hatte.
»Das habe ich für deine Mutter getan«, hatte sein Onkel geschnarrt. »Sie ruhe in Frieden. Und jetzt verschwinde, und lass dich nie wieder hier sehen.«
Hakeswill war nach Süden abgehauen, als Trommlerjunge zur Armee gegangen und schließlich zum Sergeant befördert worden und hatte nie die letzten Worte seiner Mutter vergessen.
»Niemand wird je Obadiah umbringen«, hatte sie gesagt, »nicht meinen Obadiah. Der Tod ist zu gut für ihn.« Ein Jahr später hatte der Galgen das bewiesen. Er stand unter Gottes Schutz, er war unsterblich!
Ein Stöhnen in seiner Nähe riss Hakeswill aus seinen Gedanken. Sein Kopf ruckte herum, und er sah einen tigergestreiften Inder, der sich abmühte, sich auf den Bauch zu wälzen. Hakeswill eilte hin, stieß den Mann auf den Rücken zurück und setzte ihm die Pikenspitze an die Kehle.
»Geld!«, schnarrte Hakeswill. Dann streckte er seine linke Hand aus und machte die Geste des Geldzählens. »Geld!«
Der Verwundete blinzelte und sagte etwas in seiner eigenen Sprache.
»Ich lasse dich am Leben, du Scheißkerl«, versprach Hakeswill und grinste auf ihn herab. »Nicht, dass du lange leben wirst. Hast ein schönes Loch im Bauch, siehst du?« Er wies auf die Kugelwunde. »Wo ist jetzt dein Geld? Wo sind die Rupien?«
Der Mann musste verstanden haben, denn seine Hand tastete schwach zur Brust.
»Braver Junge«, sagte Hakeswill und grinste wieder. Dann zuckte es wieder krampfartig in seinem Gesicht, und er stieß mit der Pike zu, aber nicht zu schnell, denn er liebte es, am Gesicht eines Mannes zu sehen, wenn er erkannte, dass der Tod nahte. »Du bist nicht nur ein braver Junge, sondern auch ein blöder Scheißer«, sagte er, als der Todeskampf des Mannes endete.
Dann schnitt er den Uniformrock auf und stellte fest, dass der Mann einen Beutel mit einigen Münzen auf seine Brust geschnallt trug. Er öffnete den Beutel, nahm die Hand voll Kupfermünzen heraus und steckte sie ein. Keine große Beute, doch Hakeswill war nicht darauf angewiesen, dass er mit Plündern seine Börse füllte. Er würde einen Anteil von dem nehmen, was die Soldaten der Leichten Kompanie fanden. Sie wussten, dass sie zahlen oder sonst mit Strafe rechnen mussten.
Er sah Sharpe neben einer Leiche knien und eilte zu ihm.
»Haben Sie da einen Säbel, Sharpie?«, fragte Hakeswill. »Geklaut, nicht wahr?«
Sharpe sah auf. »Ich habe den Mann im Kampf getötet, Sergeant.«
»Das interessiert verdammt nicht, Junge. Es ist Ihnen nicht erlaubt, einen Säbel zu tragen. Ein Säbel ist eine Offizierswaffe. Sie müssen sich nicht über Ihren Rang stellen, Sharpie. Wenn Sie das tun, Junge, kann das Ihr Tod sein. So werde ich den Säbel nehmen.«
Hakeswill erwartete fast, dass Sharpe sich weigerte, ihm die Beute zu geben, doch der Private ließ sich reglos den Säbel mit dem silbernen Griff abnehmen.
»Ein paar Shilling wert, würde ich sagen.« Hakeswill nickte anerkennend und hielt die Spitze des Schwertes an Sharpes Hals. »Was mehr wert ist als Sie, Sharpie. Sie sind cleverer, als es für Sie gut ist.«
Sharpe wich von dem Säbel zurück und stand auf.
»Ich will keinen Streit mit Ihnen haben, Sergeant«, sagte er.
»Aber den haben Sie, den haben Sie.« Hakeswill schnitt eine Grimasse, und in seinem Gesicht zuckte es. »Und Sie wissen, worum es bei diesem Streit geht, nicht wahr?«
Sharpe wich vor dem Säbel zurück. »Ich habe keinen Streit mit Ihnen«, beharrte er.
»Ich glaube, unser Streit heißt Mrs Bickerstaff«, sagte Hakeswill und grinste, als Sharpe schwieg. »Ich habe Sie fast mit diesem Feuerstein erwischt, nicht wahr? Sie hätten eine harte Prügelstrafe bekommen, Junge, und Sie wären ein paar Wochen danach an einem Fieber gestorben. Eine Prügelstrafe bewirkt das in diesem Klima.
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