Sharpes Feuerprobe
Bill«, schlug Sharpe vor.
»Die Röcke umdrehen?«
»Wir sind auf der Flucht, nicht wahr? Also dreh deinen Rock um als Zeichen, dass du desertiert bist.«
»Die Dorfbewohner werden kaum erkennen, welchen Sinn dies hat«, bemerkte Lawford scharf.
»Scheiß auf die Dorfbewohner«, sagte Sharpe. »Es sind die verdammten Männer Tippus, die mir Sorgen machen. Wenn diese Bastarde rote Röcke sehen, könnten sie schießen, bevor sie Fragen stellen.«
Sharpe hatte bereits sein Bandelier geöffnet und schlüpfte aus dem wollenen Rock. Er stöhnte auf, als Schmerzen durch seinen Rücken stachen. Lawford sah, dass Blut durch den dicken Verband sickerte und das schmutzige Hemd befleckte.
Widerwillig drehte Lawford seinen Rock um. Ein gewendeter Rock war ein Zeichen von Schande. Bataillone, die in der Schlacht versagt hatten, wurden manchmal gezwungen, ihre Röcke als Zeichen der Schande umzudrehen. Doch wieder einmal erkannte der Lieutenant, dass Sharpes Argument klug war, und so wendete er den Rock, dass das graue Futter außen war.
»Vielleicht sollten wir die Musketen ablegen?«, schlug er vor.
»Kein Deserteur würde seine Waffe wegwerfen«, entgegnete Sharpe. Er hängte sein Bandelier über den gewendeten Rock und nahm seine Muskete und den Tornister. Er hatte den Tornister die ganze Nacht in der Hand getragen, statt das Gewicht auf seinen verletzten Rücken drücken zu lassen. »Bist du bereit?«
»Sofort«, sagte Lawford. Dann sank der Lieutenant zu Sharpes Überraschung auf ein Knie und sprach ein stummes Gebet. »Ich bete selten«, gestand er, als er sich wieder aufrichtete, »aber vielleicht wird uns heute von hoch oben ein bisschen Hilfe zuteil.« Heute, nahm Lawford an, würden sie auf eine von Tippus Patrouillen stoßen.
Sie gingen südwärts auf das Schimmern des Wassers zu. Alle drei waren erschöpft, und Sharpe war vom Blutverlust geschwächt, doch die gespannte Erwartung gab ihnen eine nervöse Energie.
Sie umgingen das nächste Dorf, betrachteten die Kühe auf den Weiden, und als die Sonne höher stieg, wanderten sie durch den Schatten von Kakaobäumen. Sie sahen keine Menschenseele.
Am späten Vormittag flüchtete ein Reh vom Wegrand vor ihnen, und eine Stunde später hüpfte eine Gruppe kleiner Affen neben ihnen her. Am Mittag rasteten sie im Schatten eines Bambushains, dann ging es eilig weiter unter der glühenden Sonne.
Am frühen Nachmittag war der Fluss in Sicht, und Lawford schlug vor, an seinem Ufer zu rasten. Marys Auge war geschwollen und blau. Es verlieh ihr ein groteskes Aussehen, und sie hoffte, dass es sie schützen würde.
»Ich könnte jetzt eine Rast brauchen«, stimmte Sharpe zu. Der Schmerz war fürchterlich, und jeder Schritt wurde jetzt zur Qual. »Und ich muss die Verbände nass machen.«
»Nass machen?«, fragte Lawford verwirrt.
»Das hat dieser Bastard Micklewhite gesagt. Ich soll die Verbände feucht halten, sonst würden die Striemen nicht verheilen.«
»Wir werden sie im Fluss nass machen«, versprach Lawford.
Doch sie gelangten nie bis zum Flussufer.
Sie wanderten an einer Gruppe von Buchen vorbei, als ein Ruf hinter ihnen ertönte und Sharpe herumfuhr und einen Reitertrupp aus Westen herangaloppieren sah.
Die Reiter in ihren tigergestreiften Röcken und mit blitzenden Messinghelmen legten ihre Lanzen an und ritten in gestrecktem Galopp auf die drei Personen zu, die sie für Deserteure hielten.
Sharpes Herz hämmerte. Er trat vor seine Gefährten und hob eine Hand, um anzuzeigen, dass sie friedlich waren, doch der Lanzenreiter an der Spitze des Trupps grinste nur und ließ seine Lanzenspitze ebenso wenig sinken, wie er sein Pferd zügelte.
Sharpe schüttelte den Kopf und winkte, dann erkannte er, dass der Mann ihm die Lanze in den Bauch rammen wollte.
»Bastard!«, schrie Sharpe, ließ seinen Tornister fallen und hielt die Muskete mit beiden Händen, als sei sie ein Bauernspieß.
Mary schrie vor Entsetzen.
»Nein!«, rief Lawford den galoppierenden Lanzenreitern entgegen. »Nein!«
Der Lanzenreiter stieß seine Klinge gegen Sharpe, der mit der Mündung der Muskete die Lanzenspitze zur Seite schlug und dann die Waffe so schnell herumschwang, dass der Kolben hart gegen den Kopf des Pferdes prallte.
Das Tier wieherte, stieg auf die Hinterhand und warf seinen Reiter ab. Die anderen Lanzenreiter lachten und parierten ihre Pferde, um dem gestürzten Mann auszuweichen.
Mary rief ihnen etwas in einer Sprache zu, die Sharpe nicht verstand. Lawford wedelte
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