Sharpes Feuerprobe
blickte zu den beiden Wachen, die den Colonel immer noch flankierten. »Geht aus dem Weg, ihr Blödmänner, sonst werdet ihr mit dem Blut des Bastards bespritzt.«
Die beiden Männer starrten ihn an, regten sich jedoch nicht, und Sharpe nahm an, dass sie kein Englisch verstanden. Doktor Venkatesh, der versucht hatte, sich im Schatten des Torwegs zu verbergen, schüttelte den Kopf, entsetzt darüber, was geschehen würde.
Sharpe hob die Muskete, sodass die Mündung gerade sechs Zoll von McCandless’ Gesicht entfernt war.
»Irgendeine Botschaft für General Harris?«, fragte er leise.
Abermals verbarg McCandless seine Reaktion bis auf einen schnellen Blick zu Lawford. Dann sah er wieder Sharpe an und flüsterte: »Überall angreifen, nur nicht von Westen.« Und dann lauter: »Möge Gott euch verzeihen.«
»Gott interessiert mich nicht«, sagte Sharpe. Und dann drückte er ab.
Der Feuerstein fiel, ein Funken sprühte, und sonst geschah nichts.
McCandless’ Kopf ruckte zurück, als der Funken sprühte, dann spiegelte sein Gesicht pure Erleichterung wider.
Sharpe zögerte einen Moment, dann trieb er die Mündung der Muskete in die Magengrube des Colonels. Der Schlag sah hart aus, doch Sharpe dämpfte ihn im letzten Moment. Dennoch klappte McCandless um Luft ringend zusammen, und Sharpe holte mit dem juwelenbesetzten Kolben der Muskete aus, um ihn auf den grauhaarigen Kopf des Offiziers zu schmettern.
»Stopp!«, rief Gudin.
Sharpe verharrte und wandte sich um. »Ich dachte, Sie wollten den Scheißkerl tot sehen.«
Tippu lachte. »Wir brauchen ihn noch eine Weile lebend. Aber Ihren Test haben Sie bestanden.« Er wandte sich zu Gudin und sprach mit ihm, und der Franzose antwortete lebhaft.
Sharpe hatte den Eindruck, dass sie über sein Schicksal diskutierten, und er betete, dass ihm eine schmerzhafte Einführung in einen von Tippus cushoons erspart bleiben würde.
Ein anderer indischer Offizier in einem seidenen Waffenrock mit Tigerstreifen sprach mit Mary, während Sharpe immer noch bei dem geduckt dastehenden McCandless stand.
»Hat Harris Sie geschickt?«, fragte McCandless im Flüsterton.
»Ja«, raunte Sharpe, ohne den Colonel anzusehen.
Mary schüttelte den Kopf. Sie blickte zu Sharpe und schaute dann wieder den großen Inder an.
»Hütet euch davor, im Westen anzugreifen«, wisperte McCandless. »Auf keinen Fall.« Der Schotte stöhnte auf, täuschte mehr Schmerzen vor, als er hatte. Er würgte, als müsse er sich übergeben, versuchte, sich aufzurichten und stürzte stattdessen vornüber. »Sie sind ein Verräter der britischen Fahne«, sagte er laut genug, sodass Gudin ihn hören konnte, »und Sie werden den Tod eines Verräters sterben.«
Sharpe spuckte auf McCandless.
»Kommen Sie her, Sharpe!«, befahl Gudin, und sein Tonfall verriet Missbilligung.
Sharpe marschierte zu Lawford, wo einer der Adjutanten des Sultans die beiden Musketen an sich nahm. Tippu gestikulierte zu McCandless’ Wachen, befahl ihnen offensichtlich, dass der Schotte in seine Kerkerzelle zurückgebracht werden sollte. Dann nickte Tippu Sharpe anerkennend zu, wandte sich um und führte sein Gefolge aus dem Hof.
Der große Inder in dem seidenen Waffenrock mit Tigerstreifen winkte Mary.
»Ich muss mit ihm gehen, Liebling«, erklärte sie Sharpe.
»Ich dachte, du bleibst bei mir!«, protestierte Sharpe.
»Ich muss meinen Lebensunterhalt verdienen«, sagte sie. »Ich werde seine kleinen Söhne Englisch lehren. Und natürlich sauber machen und waschen«, fügte sie bitter hinzu.
Colonel Gudin mischte sich ein. »Sie wird sich später zu Ihnen gesellen«, versprach er. »Aber bis dahin seid ihr beide – wie würden Sie es ausdrücken – auf Probe?«
»In der Probezeit, Sir?«
»Genau«, sagte Gudin. »Und Soldaten sind in der Probezeit keine Frauen erlaubt. Machen Sie sich keine Sorgen, Sharpe. Ich bin sicher, dass Ihre Frau in General Raos Haus sicher sein wird. Gehen Sie jetzt, Madame .«
Mary stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Sharpe auf die Wange. »Mir wird es gut gehen, Liebling«, wisperte sie, »und dir auch.«
»Pass auf dich auf, Mädchen«, sagte Sharpe und beobachtete, wie sie dem großen indischen Offizier aus dem Hof folgte.
Gudin wies zum Torweg. »Wir müssen Doktor Venkatesh die Arbeit an Ihrem Rücken beenden lassen, Sharpe, und Ihnen dann eine neue Uniform und Muskete geben. Willkommen in der Armee von Tippu Sultan, Gentlemen. Ihr verdient einen haideri pro Tag.«
»Gutes Geld!«,
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