Sharpes Feuerprobe
Soldat lernte wie jeder andere, eine Papierpatrone zu laden, doch es war kein Geheimnis, nur Pulver und Kugel zu laden. Offensichtlich wollte Tippu überprüfen, wie tüchtig die beiden Männer waren, und während Lawford zögerte, bückte sich Sharpe zu dem Pulvertopf und nahm eine Hand voll Pulver heraus. Er richtete sich auf und ließ das Schwarzpulver in den Lauf der Muskete rieseln. Das Pulver war merkwürdig fein, und der leichte Wind trieb ein bisschen davon fort, doch es blieb genug übrig. Als die Ladung sicher im Lauf war, bückte sich Sharpe wieder, nahm die Kugel auf, schob sie in die Mündung und zog den Ladestock aus den drei goldenen Ösen. Er drehte den Ladestock, ließ ihn durch seine Hand auf die Kugel gleiten und stieß dann das Geschoss hart auf die Pulverladung hinab.
Der Tippu hatte ihm kein Schusspflaster geben lassen, und Sharpe nahm an, dass es nichts ausmachte, darauf zu verzichten. Er zog den Ladestock heraus, drehte ihn um und steckte ihn in die Ösen unterhalb des langen Laufs. Dann bückte er sich von Neuem, nahm ein bisschen Pulver, machte die Waffe zündfertig und stand still mit dem juwelenbesetzten Kolben auf dem Boden neben sich.
»Sir!«, sagte er, um zu melden, dass er fertig war.
Lawford versuchte immer noch, Pulver in die Mündung zu träufeln. Der Lieutenant war genauso bewandert im Laden einer Waffe wie Sharpe, doch als Offizier brauchte er das nie schnell zu machen, denn das war nur für einen gemeinen Soldaten die unbedingt zu erfüllende Pflicht. Lawford lud nur Waffen bei der Jagd, doch in der Armee hatte er eine Ordonnanz, die ihm seine Pistolen lud, und nie in seinem Leben hatte er dies schnell tun müssen, und jetzt demonstrierte er seine beklagenswerte Langsamkeit.
»Er war ein Schreiber, Sir«, erklärte Sharpe Gudin. Er leckte das verbliebene Pulver von seinen Fingern. »Er brauchte auch nie zu kämpfen.«
Der Dolmetscher übersetzte die Worte für Tippu, der geduldig wartete, bis Lawford die Muskete zu Ende lud. Der Sultan war wie sein Gefolge amüsiert über die Langsamkeit des Engländers, doch Sharpes Erklärung, dass Lawford ein Schreiber war, schien sie zu überzeugen. Schließlich war Lawford fertig und – sehr befangen – stand still.
»Sie können offensichtlich laden«, sagte Tippu zu Sharpe, »aber können Sie auch schießen?«
»Aye, Sir«, antwortete Sharpe dem Dolmetscher.
Tippu wies über Sharpes Schulter. »Dann erschieß ihn.«
Sharpe und Lawford wandten den Kopf und sahen einen älteren britischen Offizier, der durch das Tor in den Hof geführt wurde. Der Mann war schwach und bleich, und er stolperte, als ihn der helle Sonnenschein blendete. Er zog eine gefesselte Hand vom Gesicht, blickte auf und erkannte Lawford. Für eine Sekunde nahm sein Gesicht einen ungläubigen Ausdruck an, doch dann schaffte er es, seine Gefühle zu verbergen. Der Offizier war weißhaarig und bekleidet mit Trews und rotem Uniformrock, beides mit Staub- und Wasserflecken bedeckt, und Sharpe, der entsetzt war, einen britischen Offizier so ungepflegt und gedemütigt zu sehen, nahm an, dass dies Colonel McCandless sein musste.
»Du kannst nicht auf ihn schie ...«, begann Lawford.
»Halt’s Maul, Bill«, sagte Sharpe, hob die Muskete und schwang die Mündung zu dem entsetzten schottischen Offizier herum.
»Warten Sie!«, rief Gudin und sprach dann hastig zum Sultan.
Tippu lachte über Gudins Protest. Er ließ den Dolmetscher Sharpe fragen, was er von britischen Offizieren hielt.
»Abschaum«, sagte Sharpe laut genug, sodass Colonel McCandless es hören konnte. »Gottverdammter, dreckiger Abschaum, Sir. Die Bastarde halten sich für was Besseres, weil sie lesen können und mit einem bisschen Geld geboren wurden, aber da gibt es keinen, den ich nicht im Kampf besiegen könnte.«
»Sind Sie bereit, diesen zu erschießen?«, fragte der Dolmetscher.
»Dafür würde ich glatt bezahlen«, sagte Sharpe rachsüchtig. Lawford zischte ihm zu, doch Sharpe ignorierte ihn. »Das würde ich mich etwas kosten lassen«, bekräftigte er.
»Seine Hoheit möchte, dass Sie es aus kurzer Distanz machen«, sagte der Dolmetscher. »Er will, dass Sie dem Mann den Kopf wegblasen.«
»Wäre mir ein verdammtes Vergnügen«, sagte Sharpe begeistert. Er spannte die Muskete, während er auf den Mann zuging, den er eigentlich retten sollte. Er starrte dabei McCandless an, und sein hartes Gesicht spiegelte böse Vorfreude wider. »Hochnäsiger schottischer Bastard«, stieß er hervor. Er
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