Sharpes Flucht
und fand sich auf einmal durch eine tiefe, bewaldete Schlucht von der Hauptangriffstruppe getrennt. Also stiegen die Männer allein weiter, durchquerten ein Pinienwäldchen, und als sie auf den offenen Hang hinaustraten, sahen sie nichts als die portugiesischen Truppen vor sich. Keine Rotröcke. Die Kolonne war den Portugiesen zahlenmäßig überlegen. Zudem kannten sie ihren Feind, denn sie hatten die Portugiesen früher schon einmal geschlagen und hatten vor den Männern in Braun und Blau keine Angst, wie sie sie vor den britischen Musketen hatten. Dies würde ein leichter Sieg werden, ein Hammerschlag gegen einen verachteten Feind, doch dann eröffneten die Portugiesen das Feuer, und die Salven fielen wie die Schläge einer Uhr. Die Musketenkugeln zischten tief, und die Waffen wurden schnellstens neu geladen, und die Kolonne fand sich wie ihre Kameraden im Norden von drei Seiten unter Beschuss, und auf einmal scheuchte der verachtete Feind die Franzosen in entwürdigender Weise den Abhang hinab. Somit ergriff die letzte französische Kolonne die Flucht, besiegt von Männern, die für ihr Heimatland kämpften, und dann war die gesamte Anhöhe von den Männern des Kaisers befreit, nur die Toten, die Verwundeten und die Gefangenen waren noch dort verblieben. Ein Trommlerjunge lag in den Reben und schrie. Er war elf Jahre alt und hatte eine Kugel in der Lunge. Sein Vater, ein Feldwebel, lag leblos zwanzig Schritte entfernt, und ein Vogel pickte ihm die Augen aus. Jetzt, wo der Kugelhagel vorüber war, flogen die Vögel im schwarzen Federkleid auf die Anhöhe, um sich am Fleisch der Toten gütlich zu tun.
Rauch trieb den Hügel hinauf. Geschütze kühlten aus. Männer reichten Wasserflaschen herum.
Die Franzosen waren wieder im Tal. »Es gibt eine Straße im Norden der Anhöhe«, erinnerte ein Adjutant Marschall Masséna, der gar nichts sagte. Er starrte nur auf das, was von seinen Angriffstruppen auf dem Hügel verblieben war. Geschlagen waren sie, sie alle. Zu einem Nichts zerschmettert. Besiegt. Und der Feind, der jetzt wieder hinter dem Hügelkamm verborgen war, wartete nur darauf, dass er es noch einmal versuchte.
»Erinnerst du dich an Miss Savage?«, fragte Vicente Sharpe. Sie saßen am Ende des Vorsprungs und blickten auf die besiegten Franzosen hinunter.
»Kate? Und ob ich mich an Kate erinnere«, antwortete Sharpe. »Ich habe mich oft gefragt, was wohl aus ihr geworden ist.«
»Sie hat mich geheiratet«, erwiderte Vicente und wirkte in geradezu absurder Weise zufrieden mit sich.
»Großer Gott«, entfuhr es Sharpe, dann befand er, dass die Antwort möglicherweise unhöflich klingen mochte. »Gut gemacht!«
»Ich habe mir den Schnurrbart abrasiert«, sagte Vicente. »Wie du vorgeschlagen hast. Und sie hat ja gesagt.«
»Ich habe Schnurrbärte nie verstanden«, bemerkte Sharpe. »Muss doch sein, als ob man eine Schuhbürste küsst.«
»Wir haben ein Kind«, fuhr Vicente fort. »Ein Mädchen.«
»Schnelle Arbeit, Jorge.«
»Wir sind sehr glücklich«, bekundete Vicente feierlich.
»Das freut mich für euch«, sagte Sharpe und meinte es ehrlich. Kate Savage war aus ihrem Zuhause in Oporto davongelaufen, und Sharpe hatte sie mit Vicentes Hilfe gerettet. Das war jetzt achtzehn Monate her, und Sharpe hatte sich oft gefragt, was wohl aus dem englischen Mädchen geworden war, das die Weinberge und die Portweingewölbe ihres Vaters geerbt hatte.
»Kate ist natürlich noch in Oporto«, sagte Vicente.
»Mit ihrer Mutter?«
»Die ist zurück nach England gegangen«, antwortete Vicente. »Kurz nachdem ich mich meinem neuen Regiment in Coimbra angeschlossen habe.«
»Warum dort?«
»Weil ich dort aufgewachsen bin«, sagte Vicente, »und weil meine Eltern immer noch dort leben. Ich bin in Coimbra auf die Universität gegangen, es ist also wirklich meine Heimatstadt. Aber von jetzt an werde ich in Oporto leben. Wenn der Krieg zu Ende ist.«
»Wirst du dann wieder als Anwalt arbeiten?«
»Ich hoffe es.« Vicente bekreuzigte sich. »Ich weiß, was du von den Gesetzen hältst, Richard, aber sie bilden den einzigen Unterschied zwischen Mensch und Tier.«
»Sie haben uns nicht viel geholfen, um die Franzosen aufzuhalten.«
»Der Krieg steht über den Gesetzen, deshalb ist er so schlimm. Der Krieg setzt all die Dinge frei, die die Gesetze sonst im Zaum halten.«
»Mich zum Beispiel«, erwiderte Sharpe.
»So schlimm bist du doch gar nicht«, entgegnete Vicente mit einem Lächeln.
Sharpe blickte hinunter ins
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