Sharpes Trafalgar
Regierungsdokumente unbedingt mitgenommen werden mussten. Sie wurden aus der Kabine geholt und zur Pucelle gebracht, und dann verließen Lord William und seine Frau die Calliope, ohne sich von jemandem zu verabschieden.
Lady Grace wirkte beim Verlassen des Schiffs völlig durcheinander. Sie hatte geweint und bemühte sich, würdevoll zu wirken, doch Sharpe entging nicht ihr verzweifelter Blick, den sie ihm zuwarf, als sie in Chases Barkasse abgeseilt wurde. Malachi Braithwaite folgte als Nächster und bedachte Sharpe mit einem triumphierenden Blick, wie um zu sagen, dass er sich jetzt an Lady Graces Gesellschaft erfreuen konnte, während Sharpe auf der Calliope herumhängen würde. Lady Grace klammerte sich ans Dollbord der Barkasse, als der Wind die Krempe ihres Huts anhob, und als sie den Hut auf den Kopf drückte, sah sie, dass Sharpe die Calliope ebenfalls verließ, und ihr Gesicht spiegelte pure Freude wider. Braithwaite sah Sharpe die Leiter herabklettern, schluckte vor Staunen und sah aus, als wolle er protestieren. Doch sein Mund öffnete und schloss sich nur wie der eines gestrandeten Fischs. »Machen Sie Platz, Braithwaite«, sagte Sharpe. »Ich leiste Ihnen Gesellschaft.«
»Leben Sie wohl, Sharpe! Schreiben Sie mir!«, rief Dalton.
»Viel Glück, Junge!«, dröhnte Fairley.
Chase stieg als Letzter in die Barkasse und nahm seinen Platz im Heck ein. »Jetzt alle zusammen!«, brüllte Hopper, und die Ruderer tauchten die rotweißen Riemen ein, und die Barkasse glitt von der Calliope fort.
Der Gestank der Pucelle war weit über das Wasser wahrzunehmen. Es war der Geruch einer riesigen Mannschaft, zusammengepfercht in einem hölzernen Schiff, mit den Ausdünstungen ungewaschener Körper, dem Geruch nach Exkrementen, Tabak, Teer, Salz und Fäulnis. Das Schiff selbst ragte mächtig auf, ein hoher, glatter Wall mit Stückpforten, voller Männer, Pulver und Geschützen.
»Auf Wiedersehen!«, rief Dalton ein letztes Mal.
Und Sharpe war auf dem Kriegsschiff, suchte Rache, segelte heim.
»Ich hasse es, Frauen an Bord zu haben«, sagte Chase wütend. »Das bringt Pech, wissen Sie das? Frauen und Kaninchen, beide bringen Pech.« Er klopfte auf das Holz des polierten Tisches in seiner Tageskabine, um das Unheil abzuwenden. »Nicht, dass bisher keine Frauen an Bord gewesen wären«, gab er zu. »Unter Deck sind mindestens sechs Huren aus Portsmouth, von denen ich nichts wissen soll, und ich habe den Verdacht, dass einer der Kanoniere seine Frau an Bord geschmuggelt und versteckt hat. Aber das ist nicht das Gleiche wie Ihre Ladyschaft und ihr Mädchen offen an Deck die schmutzige Fantasie der Mannschaft anheizen zu lassen!«
Sharpe sagte nichts. Die elegante Kabine erstreckte sich über die gesamte Breite des Schiffs. Durch das breite Heckfenster konnte er die weit entfernte Calliope an der Kimm sehen. Die Fenstervorhänge waren aus geblümtem Chintz und passten zu den Kissen auf dem Fensterplatz, und der Boden war mit einem Teppich mit schwarzweißem Schachbrettmuster bedeckt. Es gab zwei Tische, ein Sideboard, einen schweren ledernen Lehnsessel, eine Couch und ein drehbares Bücherregal, doch die vornehme Atmosphäre, die anheimelnd wirkte, wurde ein wenig durch die beiden 18-Pfünder-Kanonen getrübt, die auf die rot angestrichenen Stückpforten ausgerichtet waren. Auf der Steuerbordseite der Tageskabine befand sich Chases Schlafquartier. Auf der Backbordseite bot eine Speisekabine komfortabel Platz für ein Dutzend Personen. »Und ich will verdammt sein, wenn ich wegen des gottverdammten Hale ausziehen muss«, grollte Chase. »Obwohl er es zweifellos erwartet. Er kann ins Quartier des Ersten Offiziers ziehen, und seine Frau kann die Kabine des Zweiten Offiziers nehmen. So sind sie auch von Kalkutta aus gesegelt. Der Himmel weiß, warum sie getrennt schlafen, aber es ist nun mal so. Das hätte ich Ihnen nicht sagen sollen.«
»Ich habe es nicht gehört«, sagte Sharpe.
»Der verdammte Sekretär kann in Horrocks' Kabine ziehen«, entschied Chase. Horrocks war der Leutnant, der zum Prisenkapitän der Calliope ernannt worden war. »Und der Erste Leutnant kann die Kabine des Masters haben. Er starb vor drei Tagen. Niemand weiß, warum. Er war des Lebens müde, oder das Leben war müde von ihm. Der Zweite wird den Dritten Leutnant rausschmeißen, und der wird wohl jemand anderen rausschmeißen und so weiter, bis zur Schiffskatze, die über Bord geworfen wird, das arme Ding. Gott, ich hasse Passagiere,
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