Sharpes Zorn (German Edition)
alles vorbei, und ich habe eine Lektion fürs Leben gelernt.«
»Und wenn nicht, Sir, dann soll ich die Briefe stehlen, korrekt, Sir?«
»Ich hoffe, so weit wird es nicht kommen«, sagte Wellesley. Er stand auf und warf seinen Zigarrenstummel in die Nacht, wo er in einem Funkenregen auf dem dunklen Rasen landete. »Aber jetzt muss ich mich wirklich umziehen. Volle Galauniform mit Degen. Aber eins noch, Sharpe.«
»Sir?«, fragte Sharpe. Er wusste, dass er den Botschafter eigentlich mit »Exzellenz« hätte anreden müssen, doch er vergaß das immer wieder, und Wellesley schien es nichts auszumachen.
»Wir leben und atmen in dieser Stadt allein mit Erlaubnis der Spanier, und so soll es auch sein. Was auch immer Sie tun, Sharpe, seien Sie vorsichtig. Und bitte sprechen Sie mit niemandem darüber außer mit Lord Pumphrey. Er allein weiß von den Verhandlungen.« Das stimmte nicht ganz. Es gab da noch jemanden, der helfen könnte und es auch tun würde. Allerdings bezweifelte Henry Wellesley, dass er Erfolg haben würde. Deshalb musste er sich nun ganz und gar auf diesen vernarbten und verletzten Schurken verlassen.
»Kein Wort wird über meine Lippen kommen, Sir«, sagte Sharpe.
»Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.«
»Gute Nacht, Sir.«
Im Flur wartete Lord Pumphrey. Er roch leicht nach Veilchen. »Und, Richard?«
»Offenbar habe ich hier etwas zu tun.«
»Ich freue mich ja so. Sollen wir reden?« Lord Pumphrey führte Sharpe den von Kerzen erhellten Flur hinunter. »Waren es wirklich fünf Mann, Richard? Seien Sie ehrlich. Fünf?«
»Sieben«, antwortete Sharpe, obwohl er sich nicht genau erinnern konnte. Aber das war auch egal. Er war ein Dieb, er war ein Mörder, und er war ein Soldat, und jetzt musste er einen Erpresser erledigen.
T EIL II
D IE S TADT
KAPITEL 4
Sharpe bekam ein Zimmer im Dachgeschoss der Botschaft. Das Dach war flach und schon seit einiger Zeit undicht, sodass ein großes Stück Putz fehlte und der Rest gefährliche Risse aufwies. Auf einem kleinen Tisch stand ein Wasserkrug und neben dem Bett ein Nachttopf. Lord Pumphrey hatte sich für die Unterkunft entschuldigt. »Der Konsul hier in Cadiz hat die Räumlichkeiten für uns angemietet, insgesamt sechs Häuser. Ich habe eines davon, aber ich denke, Sie bleiben lieber in der Botschaft, oder?«
»Natürlich, Sir«, sagte Sharpe rasch.
»Das habe ich mir schon gedacht. Ich treffe Sie dann morgen Abend um fünf.«
»Und ich brauche Zivilkleidung«, hatte Sharpe Seiner Lordschaft gesagt, und als er zu Bett gegangen war, hatte er eine Hose, ein Hemd und einen Mantel vorgefunden. Er nahm an, dass die Kleidung dem unglücklichen Plummer gehört hatte. Die Sachen waren schwarz, steif und leicht feucht, als wären sie nach dem Waschen nicht richtig getrocknet worden.
Sharpe verließ die Botschaft um sechs Uhr in der Früh. Er wusste das, weil über ein Dutzend Kirchenglocken die Stunde schlugen und ihre Kakophonie vom Wind durch die Stadt getragen wurde. Sharpe hatte weder Säbel noch Gewehr bei sich, denn mit beiden Waffen hätte er nur unnötig Aufmerksamkeit erregt. Allerdings hatte er sich in der Botschaft eine Pistole geliehen. »Die werden Sie nicht brauchen«, hatte Lord Pumphrey in der Nacht zuvor erklärt.
»Ich mag es schlicht nicht, unbewaffnet zu sein«, hatte Sharpe erwidert.
»Sie wissen das wohl am besten, dessen bin ich sicher«, hatte Pumphrey gesagt, »aber um Himmels willen, erschrecken Sie die Einheimischen nicht. Sie misstrauen uns auch so schon genug.«
»Ich werde nur ein wenig die Gegend erkunden«, hatte Sharpe gesagt. Ansonsten gab es auch nichts für ihn zu tun. Lord Pumphrey wartete auf eine Nachricht der Erpresser. Wer diese Erpresser waren, das wusste niemand, doch das Erscheinen des Briefes in der Zeitung deutete auf eine politische Fraktion hin, die das Bündnis mit Großbritannien um jeden Preis beenden wollte. »Wenn Ihre Verhandlungen scheitern sollten«, hatte Sharpe gesagt, »dann werden wir bei der Zeitung mit der Suche beginnen.«
»Meine Verhandlungen scheitern nie«, hatte Lord Pumphrey großspurig erklärt.
»Trotzdem werde ich mir die Zeitung einmal ansehen müssen.« Sharpe war beharrlich geblieben, und so hatte er die Botschaft am frühen Morgen verlassen. Aber obwohl man ihm den Weg genau erklärt hatte, hatte er sich schon bald verirrt. Cadiz war ein wahres Labyrinth aus dunklen Gassen und hohen Gebäuden. Mit Ausnahme von ein paar Straßen waren Kutschen hier so gut wie nutzlos,
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