Sharpes Zorn (German Edition)
war seltsam ruhig. Sharpe hockte auf seiner Treppe, und als die ersten Fußgänger erschienen, murmelte er die Worte, die Pumphrey ihm vorgeschlagen hatte. »Por favor, Madre de Dios.« Er sagte die Worte immer wieder und wieder und murmelte seinen Dank, wenn eine Kupfermünze in seine Schüssel fiel. Die ganze Zeit über beobachtete er das Haus mit der Jakobsmuschel, und er bemerkte, dass die große Vordertür nie benutzt wurde und dass die Läden nie geöffnet wurden, obwohl man an allen anderen Häusern in der Straße die Fenster weit aufriss, um möglichst viel vom ersten Licht des Tages hereinzulassen, das zwischen die hohen Gebäude fiel. Sechs Männer kamen zu dem Haus, und alle benutzten sie den Nebeneingang in der Gasse. Später am Morgen ging auch Sharpe dorthin und murmelte dabei ein Gebet vor sich hin. Dann hockte er sich wieder auf den Boden, diesmal am Eingang der Gasse. Schließlich sah er wieder einen Mann in die Gasse gehen und am Nebeneingang klopfen. Eine Klappe glitt auf, eine Frage wurde gestellt, offensichtlich zufriedenstellend beantwortet, und die Tür öffnete sich. Im Laufe der nächsten Stunde lieferten drei Lastenträger Kisten an und eine Frau brachte frische Wäsche vorbei. Und jedes Mal öffnete sich die Klappe, bevor die Besucher hereingelassen wurden. Die Wäscherin warf eine Münze in Sharpes Schüssel. »Gracias« , sagte er.
Gegen Vormittag kam ein Priester aus der Tür in der Gasse. Er war groß und hatte ein kantiges Kinn. Er warf eine Münze in Sharpes Schüssel und erteilte ihm gleichzeitig einen Befehl, den er nicht verstand. Doch der Priester deutete zur Kirche, und Sharpe nahm an, dass man ihm befohlen hatte, die Gasse zu verlassen. Er nahm seine Schüssel, schlurfte zur Kirche und sah dort Ärger warten.
Drei Bettler hatten seinen Platz auf den Stufen eingenommen. Alles Männer. Die Hälfte aller männlichen Bettler in Cadiz waren Krüppel, Überlebende der Kämpfe gegen die Briten oder die Franzosen. Sie waren von Narben übersät, und vielen fehlten Gliedmaßen. Einige hatten Schilder mit den Namen der Schlachten dabei, in denen sie verwundet worden waren, während andere stolz die Reste ihrer Uniformen trugen. Doch keiner der drei dort auf den Stufen war verkrüppelt oder trug eine Uniform, und alle drei beobachteten sie Sharpe.
Sharpe hatte sich in fremdes Revier gewagt. Die Bettler in London waren genauso gut organisiert wie jedes Bataillon. Wenn jemand sich eine Stelle suchte, die für gewöhnlich jemand anderes besetzte, dann wurde er erst gewarnt, und wenn er diese Warnung nicht beherzigte, dann wurden die Lords der Bettler aus ihren Höhlen gerufen. So hatte der Stinkende Moses stets an der Kirche St. Martin in the Fields gearbeitet. Einmal war er von zwei Seeleuten beraubt worden, die ihn mit Tritten über die Straße gescheucht hatten, um ihn an dem Arbeitshaus auf der anderen Straßenseite sein Geld abzunehmen. Dann hatten sie seinen Platz auf den Kirchenstufen eingenommen. Am nächsten Morgen hatte der Stinkende Moses wieder vor der Kirche gesessen, und in Moon’s Yard hatte man zwei Leichen gefunden.
Und diese drei Männer dort hatten eine ähnliche Mission. Sie schwiegen, als Sharpe aus der Gasse kam. Stumm umringten sie ihn. Einer nahm seine Schüssel, und die beiden anderen hielten ihn an den Ellbogen fest und scheuchten ihn in Richtung Westen, bis sie den Schatten eines Torbogens erreichten. »Madre de Dios« , murmelte Sharpe. Er hielt sich gekrümmt, als hätte er einen kaputten Rücken.
Der Mann mit der Schüssel verlangte zu wissen, wer Sharpe war. Sharpe verstand das schnell gesprochen Straßenspanisch des Mannes zwar nicht, aber er nahm an, dass es das war, was der Kerl von ihm wollte, und er vermutete auch, was als Nächstes geschehen würde. Es war ein Messer, das unter dem zerlumpten Mantel des Mannes zum Vorschein kam und zu Sharpes Kehle zuckte, und in diesem Moment verwandelte sich der angebliche Krüppel in einen Soldaten. Sharpe packte das Handgelenk des Mannes und lenkte das Messer auf seinen Besitzer um. Mit Leichtigkeit fuhr es in das weiche Fleisch unter dem Kinn des Mannes. Sharpe riss ein letztes Mal am Handgelenk des Mannes und trieb die Klinge durch die Zunge des Kerls und in seinen Gaumen. Der Mann stieß ein schmerzerfülltes Wimmern aus, und Blut strömte ihm aus dem Mund. Sharpe, der seinen rechten Arm mit Leichtigkeit hatte befreien können, riss nun auch den linken los, als der Mann auf der Seite nach ihm trat. Sharpe
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