Sharras Exil - 17
war es einer der Reize einer Vergnügungswelt wie Vainwal, dass man dort anonym war, frei von den Beschränkungen der Klasse und Kaste auf der eigenen Heimatwelt. Sie wollte nicht mit ihnen sprechen, sie wollte ihre Privatsphäre ebenso unangetastet lassen, wie sie es sich für ihre eigene wünschte.
Aber als sie vorüberging, machte der junge Mann, der Dio nicht gesehen hatte, eine ungeschickte Bewegung und stieß heftig mit ihr zusammen. Das Gepäckstück, das er trug, rutschte ihm weg und fiel mit metallischem Klappern auf den Fußboden. Er murmelte ein paar ärgerliche Worte und bückte sich danach. Es war ein langer, schmaler, eng umwickelter Gegenstand und sah ganz nach einem Paar Duell-Schwertern aus. Das allein würde seine Vorsicht erklären; derartige Schwerter waren oft kostbare Erbstücke, die man niemals jemand anders in die Hand gab. Dio trat zur Seite, aber der junge Mann fummelte mit seiner guten Hand herum und brachte nichts weiter fertig, als das Paket noch weiter über den Fußboden schlittern zu lassen. Ohne nachzudenken, bückte sie sich, um es aufzuheben und ihm zu reichen - es lag genau vor ihren Füßen -, aber er schob sie davon weg.
»Fassen Sie das nicht an!«, sagte er. Seine Stimme war barsch und rau, und das Zähneknirschen, das darin mitklang, ging Dio auf die Nerven. Sie sah, dass der Arm, den er in seinem Mantel versteckte, in einem ordentlich gefalteten leeren Ärmel endete. Vor Entrüstung blieb ihr der Mund offen stehen, als er wütend wiederholte: »Fassen Sie das nicht an!«
Und sie hatte nur versucht zu helfen!
»Lewis!«, mahnte Kennard scharf. Der junge Mann murmelte mit finsterem Blick etwas wie eine Entschuldigung und nahm die Duell-Schwerter - oder was es sein mochte - mühsam in beide Arme. Dabei wandte er sich linkisch ab, um den leeren Ärmel zu verbergen. Plötzlich ging Dio ein Schauder durch Mark und Bein. Warum griff sie das so an? Sie hatte schon verwundete Männer, auch deformierte Männer gesehen. Eine amputierte Hand war kaum ein Grund, so herumzulaufen wie der hier, mit wütendem, trotzigem Gesichtsausdruck, fest entschlossen, keinem menschlichen Wesen in die Augen zu sehen.
Dio zuckte leicht die Schultern und kehrte ihm den Rücken. Sie sah keine Veranlassung, Gedanken oder Höflichkeit an diesen Tölpel zu verschwenden, dessen Manieren ebenso hässlich waren wie sein Gesicht. Doch indem sie sich umdrehte, kam sie von Angesicht zu Angesicht vor Kennard zu stehen.
»Aber ganz bestimmt sind Sie eine Landsmännin, nicht wahr, Vai Domna? Ich wusste nicht, dass sich noch andere Darkovaner auf Vainwal befinden.«
Dio knickste. »Ich bin Diotima Ridenow von Serrais, mein Lord, und ich bin mit meinen Brüdern Lerrys und Geremy hier.«
»Und Lord Edric?«
»Der Lord von Serrais ist zu Hause auf Darkover, Sir, aber wir befinden uns mit seiner Erlaubnis auf Vainwal.«
»Ich hatte geglaubt, Ihr seiet für den Turm bestimmt, Mistress Dio.«
Sie schüttelte den Kopf und merkte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. »Das wurde ausgemacht, als ich noch ein Kind war. Man hat mich aufgefordert, in Neskaya oder Arilinn Dienst zu tun. Aber - aber ich habe mich anders entschlossen.«
»Nun ja, nicht jeder fühlt sich dazu berufen«, meinte Kennard freundlich. Dio verglich den Charme des Vaters mit dem ungezogenen Schweigen des Sohns, der mit bösem Gesicht dabeistand und nicht einmal die elementarste höfliche Phrase für sie übrig hatte. War es sein terranisches Blut, das ihn jeder Spur des Charmes seines Vaters beraubte? Nein, denn gute Manieren konnten erlernt werden, auch von einem Terraner. Im Namen der gesegneten Cassilda, konnte er sie nicht einmal ansehen? Sie wusste, nur das Narbengewebe an seinem Mundwinkel verzog sein Gesicht zu einem ständigen höhnischen Grinsen, doch seine innere Einstellung schien dem zu entsprechen.
»Also Lerrys und Geremy sind auch da? An Lerrys erinnere ich mich gut von der Garde her«, sagte Kennard. »Sind sie im Hotel?«
»Wir haben eine Suite im neunzigsten Stockwerk«, antwortete Dio. »Aber sie sind im Amphitheater und sehen sich einen Wettkampf im Schwerkrafttanz an. Lerrys ist Amateur in diesem Sport und hat das Halbfinale erreicht. Dann zerrte er sich einen Muskel im Knie, und die Mediziner verboten seine weitere Teilnahme.«
Kennard verbeugte sich. »Übermittelt beiden meine Grüße, Lady, und meine Einladung für euch alle drei, morgen Abend, wenn das Finale hier ausgetragen wird, meine Gäste zu sein.«
»Ich bin überzeugt, sie
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