Sharras Exil
…
Nur heute Nacht will ich so tun, als sei da noch etwas nach dem Morgen, als könnten sie und ich und Marja irgendwo eine Welt finden und als werde Sharras Feuer vor der Vereinigung von Aldones’ Schwert und der Hastur-Gabe harmlos verglühen … Mir war halb bewusst, dass ich bereits träumte, aber ich hielt die schlummernde Dio in meinen Armen, bis ich endlich, kurz vor dem Morgengrauen, auch in Schlaf versank.
Rotes Sonnenlicht und das Schließen einer Tür irgendwo in der Alton-Suite weckten mich. Dio – war sie wirklich da gewesen? Ich war mir nicht sicher. Aber die Vorhänge, die sie dem Mondlicht geöffnet hatte, ließen jetzt die Sonne ein, und auf meinem Kissen lag ein feines, rotgoldenes Haar. Der Schmerz im Kopf und in dem verwundeten Arm hatte sich zu einem dumpfen Druck gemildert. Ich setzte mich auf. Jetzt war die Zeit zum Handeln gekommen.
Während ich Reitkleidung anzog, überlegte ich. Natürlich würde alles, was von den Comyn noch übrig war, heute oder morgen wegen des Staatsbegräbnisses für Linnell – und Derik – nach Hali reiten. Vielleicht wäre es besser, mich ihnen anzuschließen, keine Aufmerksamkeit zu erregen und mich unbemerkt in Richtung der rhu fead zu entfernen …
Nein. Dazu war keine Zeit. Ich hatte Linnell geliebt, und sie war meine Pflegeschwester gewesen, aber ich durfte nicht warten, um Worte des liebenden Gedenkens und der Trauer über ihrem Grab zu sprechen. Ich konnte ihr nicht mehr helfen, und so oder so war sie zu weit fort, als dass es sie noch gekümmert hätte, ob ich bei ihrer Beerdigung anwesend war oder nicht. Für Linnell konnte ich mich nur noch bemühen, das Land, das sie geliebt hatte, vor Sharras Feuer zu schützen. Vielleicht halfen wir damit auch Callina – Beltran, der zu dem ursprünglichen Sharra-Kreis gehört hatte, würde sicher mit uns sterben, wenn wir das Tor zum letzten Mal schlossen. Und dann wäre Callina frei.
Ich machte mich auf die Suche nach ihr und fand sie in dem Zimmer, wo Linnell an dem Abend, als Callina und ich später Asharas Turm aufsuchten, ihre Rryll gespielt hatte. Callina saß vor der Harfe, die Hände schlaff im Schoß, so weiß und still, dass ich sie zweimal ansprechen musste, bis sie mich hörte. Und dann wandte sie mir ein so kaltes und unbewegtes Gesicht, ein so sehr Ashara gleichendes Gesicht zu, dass es mich entsetzte. Ich schüttelte sie kräftig und schlug ihr schließlich ins Gesicht. Da kehrte sie zurück. Zornesröte stieg in ihre blassen Wangen.
»Wie kannst du es wagen!«
»Callina, es tut mir Leid … du warst so weit weg, du hörtest mich nicht … du warst in Trance –«
»O nein«, keuchte sie, und vor Schreck flogen ihre Hände vor ihren Mund. »O nein, das ist unmöglich …« Sie schluckte und schluckte noch einmal, sie kämpfte gegen die Tränen an. »Ich meinte, mein Leid nicht mehr ertragen zu können, und da schien es mir, als sei Ashara im Stande, mir Frieden zu geben, mir das Leid abzunehmen … das Leid und die Schuld, denn wenn ich nicht zusammen mit dir den Schirm benutzt und dies … dies Mädchen Kathie nicht gefunden hätte, wäre Linnell noch am Leben …«
»Das weißt du nicht«, erklärte ich barsch. »Niemand weiß, was alles hätte geschehen können, als Kadarin … dieses Schwert zog. Kathie hätte anstelle von Linnell sterben, sie hätten beide sterben können. Wie dem auch sei, quäle dich nicht selbst. Wo ist Kathie?«
»Ich will sie nicht sehen«, antwortete Callina mit zitternder Stimme. »Sie ist wie … es ist, als sähe ich Linnells Geist, und das halte ich nicht aus …«
Einen Augenblick lang fürchtete ich, sie werde von neuem in Trance verfallen. »Dazu ist keine Zeit, Callina! Wir wissen nicht, was Beltran oder Kadarin plant«, mahnte ich. »Wir müssen schnell handeln. Jeden Augenblick kann es von neuem beginnen.« Wie war es mir nur möglich gewesen, in dieser Nacht zu schlafen, da dies über uns hing? Aber wenigstens hatte ich jetzt Kraft für das, was ich tun musste. »Wo ist Kathie?«
Endlich seufzte Callina und zeigte mir den Weg zu Kathies Schlafzimmer. Sie lag wach auf einer Couch, halb nackt, und sah sich einen Satz Kacheln an. Bei meinem Eintritt fuhr sie zusammen und zog eine Decke um sich. »Hinaus! Ach – du bist es schon wieder! Was willst du?«
»Nicht das, was du zu erwarten scheinst«, antwortete ich trocken. »Ich möchte, dass du dich anziehst und mit uns reitest. Kannst du reiten?«
»Ja, natürlich. Aber warum …«
Ich kramte
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