Sharras Exil
ihnen und gab auf jede Stufe unter meinen Füßen Acht. Wir drängten uns so dicht an Callinas Fersen, dass sie uns mit leiser, geistesabwesender Stimme warnen musste: »Passt auf, dass ihr mich nicht berührt.« Einmal rutschte Kathie auf der glitschigen Oberfläche aus und polterte eine oder zwei Stufen hinunter, bevor ich sie festhalten konnte. Ich tastete mit meiner guten Hand die Wand ab, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was dort kleben mochte, und einmal machte die Treppe eine scharfe Kehre nach rechts. Ohne Callinas bleiches Licht wären wir ins Nichts getreten und gefallen – wer weiß in welche Tiefen? Einer von uns trat ein Steinchen los, und wir hörten es nach langer Zeit sehr weit weg aufschlagen. Wir gingen weiter. Das Blut hämmerte mir in den Schläfen. Verdammt, ich hoffte, hier nicht noch einmal hinabsteigen zu müssen! Lieber wollte ich Sharra und der Hälfte von Zandrus Damonen entgegentreten!
Hinunter, hinunter und endlos hinunter, so dass ich meinte, der halbe Tag müsse vorbei sein, als wir das Labyrinth betraten, das sich an die Treppe anschloss. Doch Callina führte uns mit zierlichen, engen Schritten, als träte sie den Boden eines Ballsaals.
Endlich endete der Weg vor einer festen, schweren Tür. Das Licht in Callinas Händen ging aus, als sie es berührte, und ich musste mit der Holzstange ringen, die die Tür verschloss. Einhändig konnte ich sie nicht zurückziehen. Dio warf sich mit ganzem Gewicht gegen den Riegel. Knarrend fuhr er zurück, und Licht blendete Augen, die sich an die Dunkelheit dieses gottverlassenen Tunnels gewöhnt hatten. Ich schielte nach draußen und stellte fest, dass wir in der Straße der Kupferschmiede standen, genau da, wohin ich Hjalmar mit den Pferden bestellt hatte. Von der Straßenecke her klingelte das Klopfen vieler winziger Hämmer auf Metall. Da war eine Werkstatt, in der Pferde beschlagen und eiserne Werkzeuge repariert wurden, und ich sah Hjalmar mit den Pferden dort stehen.
Er erkannte Callina, obwohl sie sich in einen unauffälligen, dicken, dunklen Mantel gehüllt hatte. Ob sie sich das grobe Kleidungsstück von einer ihrer Dienerinnen geliehen hatte? Oder war sie einfach in die Dienstbotenquartiere gegangen und hatte den ersten Mantel genommen, den sie fand?
» Vai Domna , lasst mich Euch beim Aufsteigen behilflich sein …«
Sie ignorierte ihn und wandte sich mir zu. Unbeholfen, einhändig streckte ich den Arm aus, um ihr in den Sattel zu helfen. Kathie kletterte ohne Hilfe hinauf. Ich drehte mich zu Dio um.
»Weißt du, wo du bist? Wie wirst du zurückkommen?«
»Nicht auf diesem Weg!«, entgegnete sie entschlossen. »Aber mach dir keine Sorgen, ich finde mich schon zurecht.« Sie wies auf die Burg, die sich sehr hoch über uns auf der Bergflanke hinter der Stadt erhob; wir hatten in der Tat einen langen Weg zurückgelegt. »Ich meine immer noch, ich sollte mit euch reiten …«
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht auch noch Dio in diese Sache hineinziehen. Sie breitete die Arme aus, doch ich tat, als sähe ich es nicht. Ein Lebewohl konnte ich nicht ertragen, nicht jetzt. Ich sagte zu Regis: »Sorg dafür, dass Dio sicher zurückkommt!«, und kehrte ihnen beiden den Rücken. Mühsam hievte ich mich in den Sattel und ritt fort, ohne mich noch einmal umzublicken. Angestrengt richtete ich meine Gedanken nur darauf, die Hufe des Pferdes über das Kopfsteinpflaster zu führen.
Hinaus aus der Straße der Kupferschmiede, hinaus aus den Stadttoren, unbemerkt und unerkannt, den Weg hinauf, der zum Pass führte. Einmal blickte ich nach unten. Da lagen sie beide unter mir, das terranische HQ und die Comyn-Burg, die sich über die Altstadt und die Handelsstadt hinweg ansahen wie Krieg führende Riesen, umgeben von ihren Truppen. Entschlossen wandte ich mich ab, aber ausschließen konnte ich sie nicht.
Sie waren mein Erbe, sie beide, nicht eins allein, und sosehr ich mich bemühte, ich vermochte den uns bevorstehenden Kampf nicht als Schlacht zwischen Terranern und Comyn zu sehen, sondern nur als Darkover gegen Darkover, auf der einen Seite diejenigen, die im Dienst der Comyn das alte Böse auf unsere Welt loslassen wollten, auf der anderen Seite die, die unsere Welt davor zu schützen versuchten.
Ich hatte mich selbst mit dem alten Bösen, mit Sharra verbündet. Es spielte keine Rolle, dass ich das Tor geschlossen hatte – ich war es gewesen, der Sharra erst heraufbeschwor. Das war ein Missbrauch des Laran , meines Erbteils, ein Verrat
Weitere Kostenlose Bücher