Sharras Exil
lieben. »Meine Mutter – und mein Vater nach ihr – hatten dort Grundbesitz; dann soll er auf dich übergehen.«
Andres blinzelte, und ich sah, dass seine Augen voll Tränen standen. Er sagte nichts als: »Gott verhüte, dass ich von diesem Papier je Gebrauch machen muss, Vai Dom . Doch wenn irgendetwas passiert, werde ich für das kleine Mädchen tun, was ich kann. Ihr wisst, ich würde sie mit meinem Leben beschützen.«
»Es könnte durchaus dazu kommen«, stellte ich nüchtern fest. Ich wusste nicht, warum, aber plötzlich durchlief mich ein eisiger Schauder: Das Blut erstarrte mir in den Adern, und für einen Augenblick schien es mir, obwohl das ersterbende Licht den ganzen Raum in Rot tauchte, das die Steine um mich mit Blut befleckt waren. Ist das also der Ort meines Todes? Gleich darauf war es wieder vorbei. Andres ging ans Fenster und zog die Vorhänge mit einem Ruck zu.
»Die Blutige Sonne!«, sagte er, und es klang wie ein Fluch. Dann steckte er das Papier, das ich ihm gegeben hatte, in eine Tasche, ohne es anzusehen, und ging.
Das war geregelt. Jetzt brauchte ich nur noch Sharra gegenüberzutreten. Nun gab es kein Entrinnen mehr. Morgen wollten Kathie und ich nach Hali reiten, und mein Plan, Aldones’ Schwert an mich zu bringen und diese letzte Waffe gegen Sharra einzusetzen, würde entweder gelingen oder fehlschlagen. So oder so, ich sah wahrscheinlich keinen neuen Sonnenaufgang mehr. Mein Kopf brannte von den Stichen in meiner Stirn. Narben als Gegenstück zu denen, die Kadarin auf meinem Gesicht hinterlassen hatte … nun, ein altes Sprichwort sagt, dass der Tote im Himmel zu glücklich ist, um noch daran zu denken, was mit seinem Leichnam geschieht, sei er schön oder hässlich, und der Tote in der Hölle dafür zu viel andere Probleme hat. Was mich betraf, so hatte ich weder an den Himmel noch an die Hölle je geglaubt; der Tod war nicht mehr als endloses Nichts und Dunkelheit.
Doch wieder hörte ich in meinem Gehirn meines Vaters letzten Aufschrei … Kehre nach Darkover zurück und kämpfe für deine Rechte und die deines Bruders! Dies ist mein letzter Befehl … und danach, als das Leben ihm entfloh, ein Ruf voll Freude und Zärtlichkeit:
Yllana! Geliebte …
Hatte er im letzten Augenblick etwas gesehen, das jenseits von diesem Leben lag, hatte meine nur undeutlich erinnerte Mutter an diesem letzten Tor auf ihn gewartet? Ich weiß, die Cristoferos glauben so etwas; Marjorie hatte es auch geglaubt. Würde Marjorie jenseits von Sharras Feuer auf mich warten? Das konnte ich nicht glauben, ich wagte nicht, es zu glauben. Und wenn es so war – ich musste lächeln, ein saures kleines Lächeln –, was würden wir tun, wenn Dio dort aufkreuzte? Aber sie hatte ihren Anspruch bereits aufgegeben … Wenn Liebe das Kriterium war, würde sie vielleicht am Tor des Todes nach Lerrys suchen. Und was war mit den Männern und Frauen, die ihre Ehegatten hassten, die aus Pflichtgefühl oder familiären Rücksichten oder politischer Notwendigkeit geheiratet hatten? Wenn ihr Eheleben die Hölle und der Tod eine gnädige Erlösung war, konnte ein vernünftiger oder gerechter Gott verlangen, dass sie auch in einem endlosen Leben nach dem Tod miteinander verbunden blieben? Ich verbannte diese Gedanken als Quatsch und versuchte, mich trotz des heftigen Schmerzes in meinem Kopf und dem Brennen und Pochen in meinem verwundeten Arm zur Ruhe zu zwingen, damit ich einschlafen konnte.
Das letzte rote Licht wurde trübe, verblasste und verlosch. Durch einen Spalt zwischen den Vorhängen fiel blasses, grünliches Mondlicht wie Eis über mein Bett. Es sah kühl aus, es würde mein Fieber lindern … ich hörte Schritte, ein Rascheln und ein leises Flüstern.
»Lew, schläfst du?«
»Wer ist da?«
Das ungewisse Licht ließ helles Haar aufleuchten, und Dio, das Gesicht so bleich wie der Mond, blickte auf mich nieder. Sie drehte sich um und zog die Vorhänge auf, die Andres geschlossen hatte. Mondlicht überflutete das Zimmer, und die abnehmenden Monde lugten ihr über die Schulter.
Die Kühle des Mondlichts legte sich über mein fieberndes Gesicht. Ohne Neugier fragte ich mich, ob ich eingeschlafen sei und träume, Dio sei da. Sie war so still, so gedämpft. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen.
»Lew, dein Gesicht ist so heiß …«, murmelte sie, und nach einer Minute kam sie und legte mir etwas Kaltes und Erfrischendes auf die Stirn. »Hat man dich in diesem Zustand einfach allein gelassen?«
»Mir fehlt
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