Sharras Exil
ein solcher hatte nicht stattgefunden. Andererseits, wenn Lew zurückgekehrt war, kam es Regis unwahrscheinlich vor, dass er ihm selbst keine Nachricht hätte zukommen lassen.
Wir waren Freunde. Ich glaube, Lew hätte mir Bescheid gegeben .
Aber er hatte kein Wort von ihm gehört, und allmählich machte Regis sich Sorgen. Lew und Kennard mochten sich entschieden haben, ihr Recht auf die Domäne aufzugeben, indem sie nicht erschienen. In der Zukunft, die unvermeidlich kommen musste, würde eine feudale Herrschaft über eine riesige Domäne kaum noch etwas zu bedeuten haben. Marius war gut versorgt; Kennard hatte ziemlich viel Eigentum außer dem Großen Haus von Armida. Vielleicht, dachte Regis, war es besser für Marius, wenn ihm diese Art von feudaler Regentschaft über die alte Domäne erspart blieb. Er, Regis, hätte sehr gern auf die Veränderungen verzichtet, die in der darkovanischen Gesellschaft eintreten mussten, und Gabriel die undankbare Aufgabe überlassen, sich mit ihnen abzuquälen.
Regis hielt in der Kammer Umschau. Irgendwer bewegte sich hinter dem nur teilweise geschlossenen Vorhang der Ridenow-Loge – vielleicht Lord Edrics Frau oder eine ihrer erwachsenen Töchter. Nun, es gab genug Ridenow-Söhne und Töchter; offenbar lag auf ihnen nicht der Fluch der Unfruchtbarkeit, unter dem einige der älteren Domänen litten. Die direkte Linie der Aillards war ausgestorben. Eine Seitenlinie, die Lindir-Aillard-Familie, regierte dies Haus mit Lady Callina als offiziellem Oberhaupt der Domäne. Sie hatte eine jüngere Schwester namens Linnell, die ein weiteres Pflegekind Kennards gewesen war, und einen Bruder, der zu Dyan Ardais’ Kreis gehörte. Allerdings war Regis sich nicht sicher (und es interessierte ihn auch nicht), ob der Junge Dyans Liebhaber und Favorit oder nur ein Mitläufer war. In der letzten Zeit war Merryl Lindir-Aillard öfters in der Gesellschaft des jungen Prinzen Elhalyn gesehen worden. Regis’ Großvater Danvan hatte bei einer Gelegenheit seinem Unmut über die Gesellschaft, die der Prinz bevorzugte, Ausdruck gegeben.
»Ich glaube nicht, dass Ihr Euch darüber Sorgen zu machen braucht, Sir«, hatte Regis ein bisschen belustigt geantwortet. »Ganz gleich, was Merryl ist, Derik liebt die Frauen. Merryl schmeichelt ihm, das ist alles.«
Und als der Telepath, der er war – und obwohl rings um die Kristallkammer telepathische Dämpfer aufgestellt waren, hatte man sie doch noch nicht in Betrieb genommen –, überraschte es Regis nicht, den Gardisten an der Tür zu hören. Die Stimme des Mannes wechselte von dem freundschaftlichen, wenn auch respektvollen Ton, den er Regis gegenüber angewendet hatte, zu unpersönlicher Ehrerbietung.
»Nein, Vai Dom . Ihr seid früh gekommen; es ist noch niemand da außer Lord Regis Hastur.«
»Oh, gut«, antwortete die hohe Stimme des jungen Prinzen. »Ich habe Regis seit den Sitzungen des letzten Jahres nicht mehr gesehen.« Regis drehte sich um und verbeugte sich vor Derik Elhalyn. Aber Derik ging nicht darauf ein, sondern trat näher und begrüßte Regis mit der unter Verwandten üblichen Umarmung.
»Warum seid Ihr so früh gekommen, Cousin?«
Regis lächelte. »Dasselbe könnte ich Euch fragen, mein Lord. Es war mir nicht bewusst, dass noch so viel Zeit ist – ich hatte nicht damit gerechnet, der Erste zu sein.« Es gab zwei oder drei Leute, sogar unter den Comyn, denen er geradeheraus erklärt hätte: Großvater hat mich wieder einmal damit geplagt, noch in diesem Sommer müsse eine Heirat für mich arrangiert werden, und ich ging, weil ich nicht von neuem mit ihm streiten wollte . Aber obwohl Derik drei Jahre älter als Regis war, hoch gewachsen und gut aussehend, schienen die Angelegenheiten von Erwachsenen in einem Gespräch mit ihm fehl am Platz zu sein.
Die Domäne von Elhalyn hatte sich einst von den Hasturs abgespalten. Natürlich stammten alle Domänen von dem legendären Paar Hastur und Cassilda ab, aber die Elhalyn hatten ihre Sippenzugehörigkeit zu den Hasturs länger aufrechterhalten als die Übrigen. Vor ein paar hundert Jahren hatten die Hastur-Könige ihre zeremoniellen Funktionen und den Thron selbst den Hasturs von Elhalyn übertragen. Regis’ Mutter war eine Schwester von König Stephen gewesen, und so war der »Cousin« nicht bloße Höflichkeit. Regis kannte Derik, seit sie kleine Kinder gewesen waren. Aber als Regis neun Jahre zählte, ließ es sich schon nicht mehr übersehen, dass er schneller und intelligenter war,
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