Sheila Levine ist tot und lebt in New York (German Edition)
unermüdlich auf Singlepartys, am Heiligen Abend, an Silvester, an Wahlabenden und allen sonstigen Gelegenheiten. Manche lügen, was ihr Alter betrifft. Einige erzählen sogar, die seien geschieden, weil eine geschiedene Frau bessere Chancen hat, wieder einen zu finden. Und das stimmt auch. Ist man nämlich geschieden, dann muss ein Mann zumindest so verliebt gewesen sein, dass er für immer mit einem zusammenbleiben wollte.
In New York tummelt sich eine Million junger Frauen, die bei Bloomingdale’s und Sak’s ein Kundenkonto haben und die sich ihren eigenen Schmuck kaufen. Junge Frauen, die zu Tiffany’s gehen, um sich Armbänder und Ringe zu kaufen. Ja, wer sich für was Besseres hält, sollte wissen, dass diese Mädchen alle studiert haben, ihren Faust gelesen haben und ihren Zola kennen. Und alle sind sie ausgezeichnete Köchinnen. Jede von ihnen weiß, wie man eine Quiche und eine Paella zubereitet. Alle haben ein und dasselbe gottverdammte Rezept.
Ah, und auch in der Politik kennen sie sich aus! Sie sind alle sehr liberal, diese jungen Frauen. Sie demonstrieren bei jedem Wetter, treten einer Partei bei und tragen Buttons. Gehen sie auf diese Meetings, weil sie von der Sache überzeugt sind? Nein, sie gehen, weil sie dort einen Mann treffen könnten, der von der Sache überzeugt ist.
Sind wir wirklich dermaßen verrückt? Alle ohne Ausnahme? Haben wir nicht bemerkt, dass wir ein bedeutender Wirtschaftsfaktor sind, wir weiblichen Singles? Es gibt Zeitschriften für uns, Kaufhäuser, die sich auf uns spezialisiert haben. Jedes Gebäude, das in Manhattan hochgezogen wird, besteht zur Hälfte aus Einzimmerwohnungen. Wohnungen? Nein – es sind Zellen ohne separate Schlafzimmer für eine Million junger Frauen, die sie kaum benutzen.
All diese jungen Frauen, diese Hunderttausende von jungen Frauen, folgen ein- und demselben Schema. Sie kommen ins Village, teilen sich eine Wohnung mit drei, vier, fünf anderen, die auch auf der Suche nach einem Mann sind, einem Mann zum Heiraten. Später ziehen sie mit nur einer Mitbewohnerin auf die Upper East Side in eine kleinere, teurere Wohnung. Sie richten sich nicht ein. Sie investieren ihr ganzes Geld in ihre Garderobe, denn alle suchen – schreien – verzweifelt nach einem Mann. Doch sie bleiben allein. In kleinen Midtown Apartments, nicht allzu teuer, aber sicher. Sie kaufen sich Hautcremes und treffen Vorsorge fürs Alter. Sie erstehen ein paar hübsche Weingläser, möbeln ihre alte Couch wieder auf und legen sich eine Katze zu. An der Küchenwand hängen Töpfe undPfannen, und auf ihrem Wohnzimmertisch stehen Pflanzen. Sie haben aber die Suche nicht aufgegeben.
Es wäre jedoch falsch zu behaupten, dass keine von ihnen jemals heiratet. Manche tun’s, verdammt! … Ein paar wenige, ja. Sie heiraten zum Beispiel ihre Sandkastenfreundschaft, an die sie damals, als sie nach Manhattan zogen, keinen Gedanken verschwendet haben. Ein paar lernen auch über eine Freundin einen Mann auf einer Hausparty kennen. Aber das sind die allerwenigsten … glaubt mir, die Ausnahmen. Fun City! Ha! In New York dreht sich alles nur ums Überleben, ums Gesehenwerden, ums Umworbenwerden, ums Geheiratetwerden. Wer eine Kopie von diesen Betrachtungen möchte, dem lässt Manny Levine gerne eine zukommen.
Ich entdeckte Linda schon von Weitem unter dem Triumphbogen am Washington Square. Sie war nicht zu übersehen. Linda Minsk ist 1,80 ohne Absatz. Manche können aus diesen 180 Zentimetern was machen. Bei Linda sahen sie aber nicht so gut aus. Sie war an diesem Punkt ihres Lebens einfach nur in die Höhe geschossen, also keineswegs statuesk. Und sie war ungelenk. So wie sie dastand, ließ sie den ganzen Triumphbogen komisch aussehen. Und was sagten die Leute über Linda? Sie sagten, sie hätte ein sehr hübsches Gesicht. Und das stimmte auch. Olivfarbener Teint, große, braune Augen und eine Nase, die nicht störte.
An diesem Freitag hatte Linda das dunkle, glatte Haar hochtoupiert. Die Lippen waren weiß, denn sie hatte mehrere Lagen weißen Lippenstift aufgetragen, wie das damals modern war. Sie trug eine karierte Hemdbluse, dieetwas zu knapp saß und noch nicht diesen ausgewaschenen Look hatte. Ihre Schuhe – Größe 42 – rot mit kleinem Absatz. Statt einer Aktentasche hatte sie einen Jutebeutel dabei. Soweit ich mich erinnere, sah sie wie tausend andere Studentinnen aus, die gerade Examen gemacht und zu arbeiten angefangen hatten. Ihr Status hatte sich zwar verändert, nicht aber
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