Shelter Bay - 02 - Furienlied
klang übertrieben überrascht. »Dann kommen wir gar nicht mehr hier weg.«
»Ich meinte nicht …« Will schüttelte den Kopf. Er hatte bloß Zoe nicht aus den Augen lassen wollen. Aber es klang in der Tat ziemlich zweideutig … Nicht, dass er gegen diese Idee etwas einzuwenden gehabt hätte. »Okay.« Er grinste dümmlich und stieg in sein Zimmer hoch – allein.
Zoe geht’s gut, versicherte er sich selbst. Es geht ihr gut.
Aber als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete, lag die Flöte immer noch auf seinem Bett.
Kapitel 9
Circe Invidiosa
John William Waterhouse, 1849-1917
Waterhouse erzielt mit einigen wenigen aufschlussreichen Details eine brillante narrative Wirkung. Circe Invidiosa bedeutet »die eifersüchtige Circe«, und in diesem Bild sehen wir die berühmte Meerhexe, wie sie grünes Gift in das Wasser träufelt, in dem die schöne Seenymphe Scylla badet. Als der Meeresgott Glaucus Scylla seine Liebe gestand, wurde Circe von Eifersucht erfüllt. Ihr Gift verwandelte Scylla in ein abscheuliches Seeungeheuer – hier im Moment der Verwandlung zu Circes Füßen zu sehen.
Mafer hatte Zoe gefragt, ob sie sich im Haus ihrer Familie treffen konnten, das in Waterbreak in derselben Straße wie die Bibliothek gelegen war. Genau genommen war Waterbreak kleiner als Shelter Bay, dennoch gab es dort ein winziges Kino, ein annehmbares italienisches und ein hervorragendes polnisches Restaurant und eine Bibliothek.
Mafer wohnte in einer Anlage von Doppelhäusern aus rotem Backstein mit weißen Zierleisten. Das Gras war gemäht, aber einige vereinzelte überstehende Büschel an den Rändern verrieten eine nicht allzu große Liebe zum Detail. Jede Doppelhaushälfte ließ etwas über den Charakter ihrer Bewohner erkennen. Vor einer standen zwei Kinderfahrräder und ein rosa gestreifter Tretroller. Eine andere beherbergte eine Sammlung von Windspielen, die in verrückter Heiterkeit zu schellen begannen, als ein Windhauch darüberstrich. Eine dritte wartete mit einigen Blumentöpfen voller Chrysanthemen und einer fetten orangefarbenen Katze auf, die Zoe von ihrem Platz hinter dem Fenster aus mit gelassener Zurückhaltung beobachtete.
Irgendwie wusste Zoe bereits, welche Doppelhaushälfte Mafers war, noch bevor sie die Messingnummer neben der Tür sah. Leuchtend gelbe Sonnenaugen wucherten zu einem großen, wilden Busch zusammen, sodass ihre Blüten übereinanderfielen wie freundliche, herzliche Betrunkene. Ein orange-schwarzer Schmetterling saß auf einer Blume und zuckte mit den Flügeln, als sei er hoch konzentriert. Darunter bedeckte ein Teppich aus blauen Bergastern den Boden. Dieses Haus mit seinen leuchtenden Farben und seiner Lebendigkeit, hinter denen sich zugleich etwas Tieferes, Abgründiges zu verbergen schien, war ganz genau wie Mafer selbst.
Neben der Tür hing ein Kreuz, so groß wie Zoes Hand. Es war bedeckt mit kleinen Blechanhängern, jeder davon einzigartig: ein Paar betende Hände, eine Tänzerin, eine Socke. Zoe klingelte und hörte, wie das Geräusch im Haus widerklang. Ein kleiner Junge, ungefähr acht, öffnete. Er hatte große schwarze Augen und sah aufgeregt zu Zoe hoch. »Du bist Mafers Freundin?«, fragte er und bevor Zoe antworten konnte, sauste er davon.
Zoe betrat das Wohnzimmer, das, obwohl ordentlich, doch recht beengt war. Ein winziges blau kariertes Sofa war gegenüber einem alten Fernseher platziert. An einer der Wände stand ein großes Bücherregal voller gerahmter Fotos und Bücher auf Englisch und Spanisch. Zoe ging hinüber, um sich ein Foto von einer jungen Frau in Uniform genauer anzusehen. Daneben stand ein Bild der Jungfrau Maria – dessen Rahmen ebenfalls mit kleinen Blechanhängern überzogen war.
Ein Rascheln in ihrem Rücken brachte sie dazu, sich umzudrehen. Sie hatte erwartet, Mafer zu sehen, doch stattdessen stand dort eine kleine Frau mit grauen Haaren und beobachtete sie. Ihr Gesicht war rund, ihre leuchtenden Augen aufmerksam und fröhlich.
»Hi«, sagte Zoe verlegen. »Ich bin Zoe.«
Die Frau nickte.
»Sind Sie Mafers Großmutter?«
Ein Achselzucken. »Ja.« Vielleicht lag es nur an ihrem Akzent, aber der Klang ihrer Stimme transportierte deutlich, wie wenig sie daran interessiert war, etwas so Offensichtliches zu besprechen. Zoe fühlte sich jedoch nicht gekränkt. Ganz im Gegenteil, sie hätte am liebsten gelacht.
»Ist das Ihre Tochter?« Zoe deutete auf das Foto.
»Sie ist in Afghanistan. Dritter Einsatz.«
»Das muss hart für Sie
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