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Shelter Bay - 02 - Furienlied

Shelter Bay - 02 - Furienlied

Titel: Shelter Bay - 02 - Furienlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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Ort. Sie war oft mit ihrem Vater hierhergekommen, als sie noch kleiner war, weil die Auswahl an Videos besser war als in Shelter Bay. Alles in allem mochte Zoe die Bibliothek in Shelter Bay mit ihren kleinen, behaglichen Räumen und ihrer Bauweise aus dem neunzehnten Jahrhundert lieber. Aber Waterbreak war besser ausgestattet, unter anderem gab es einen Arbeitsbereich mit einem Datenbanksystem, mit dem man ganz leicht nach Zeitungsartikeln suchen konnte, und bequeme Stühle für Gruppenarbeit. Dorthin waren die Mädchen nun unterwegs, als sie an den Drehständern mit den Taschenbüchern und den gemütlichen Lesesesseln, die um einen niedrigen Couchtisch herum aufgestellt waren, vorbeigingen. Mafer ging voran und setzte sich an einen ausladenden Bibliothekstisch. Sie zog ihre weiße Jacke aus und hängte sie über die Rückenlehne eines der Stühle. »Okay«, sagte sie, während sie ihre Chemieunterlagen aus ihrer Schultertasche zog. »Sollen wir mal nachsehen, ob es irgendwelche Artikel gibt, die unsere These untermauern?«
    »Klar.« Zoe zog ihren Büchereiausweis aus dem Portemonnaie und ging zu der Reihe von Computern hinüber. Sie gab die Ausweisnummer ein und loggte sich in das System ein. Es dauerte einen Moment, bis ihr Computer hochgefahren war, und sie erwischte sich dabei, wie sie auf ein Gemälde an der gegenüberliegenden Wand starrte. Sie kannte den Maler – John William Waterhouse. Er war einer ihrer Lieblingskünstler. Zoe hatte eine Vorliebe für zeitgenössische Kunst und dieses Bild, wie so viele Bilder von Waterhouse, war eine idealisierte, romantische Darstellung eines klassischen Motivs. Eine schöne Frau saß am Meer und kämmte ihr langes Haar. Ein beinahe schlangenartiger Schwanz wand sich schimmernd um sie. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, als sänge sie vor sich hin.
    Die Erinnerung an Kirks Zeichnung stieg in ihr auf – der Kopf, der halb aus dem Wasser ragte, die Augen, die aus dem dunklen Schatten hervorspähten. Das kam dem, wie Zoe sich eine Meerjungfrau vorstellte, deutlich näher. Bedrohlich. Beängstigend.
    Sie dachte an die Seekrieger draußen in der Bucht. Sie erinnerte sich an sie – vage. Sie erinnerte sich daran, dass sie beängstigend waren.
    Diese harmlose Meerjungfrau auf dem Gemälde kam ihr wie eine Lüge vor.
    Beinahe reflexartig drehte Zoe sich um und warf einen Blick auf die Wand in ihrem Rücken. Dort hing eine weitere Waterhouse-Reproduktion. Doch dies war keine harmlose Meerjungfrau. Auf diesem Bild hielt eine Frau eine giftgrüne Schale von sich, als wolle sie sie dem Betrachter darbieten. Sie trug ein langes, einer Toga ähnelndes Gewand, dessen Farben an ein Pfauenrad erinnerten, und ihre nackten Füße standen im Wasser. Ihr Kinn war so geneigt, dass sie unter ihren Wimpern hervor aufsah, eine Pose, die kokett hätte sein können, hier jedoch etwas Bedrohliches hatte.
    Zoe merkte plötzlich, dass sie vor dem Druck stand und das Gesicht eingehend musterte. Etwas in seinem Ausdruck schien vertraut und jagte ihr doch einen Schauer über den Rücken. Auf dem kleinen Schild darunter stand »Circe Invidiosa«.
    »Das nennst du Recherche?«, fragte Mafer.
    Zoe fuhr zusammen, als die Stimme an ihrer Seite erklang.
    Mafer lächelte entschuldigend. »Sorry. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Nein – mir tut’s leid. Ich war nur irgendwie … abgelenkt.«
    Mafer verschränkte die Arme vor der Brust und musterte das Bild. »Circe«, sagte sie, als sei das der Name von jemandem, den sie kannte und nicht sonderlich mochte. »Mit der ist nicht zu spaßen.«
    »Ich weiß nur noch, dass sie Odysseus’ Männer in Schweine verwandelt hat.«
    »Und er musste hingehen und sie retten. Sie hat ihn monatelang auf ihrer Insel festgehalten.« Mafer schürzte die Lippen. »Mir gefällt, wie es beinahe so aussieht, als ob sie auf einem Seeungeheuer steht – einem Riesenkraken oder einem Oktopus vielleicht. Wahrscheinlich irgendein armes Würstchen, das an ihren Strand gespült wurde.« Sie beugte sich zu dem Bild vor und flüsterte: »Was immer auch in dieser Schale ist: Nicht trinken!«
    Zoe versuchte vergeblich, ein Lachen zu unterdrücken, als der Bibliothekar mit einem missbilligenden Stirnrunzeln hereinkam. Er warf ihnen einen strengen Blick zu, stopfte sein Hemd in seine Hose und marschierte davon.
    »Ich mag es, wie seine Krawatte nur gerade halb über seinen Bauch reicht«, bemerkte Mafer, während sie ihm hinterhersahen. »Er sieht aus wie Papa Bär in meiner alten

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