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Shelter Bay - 02 - Furienlied

Shelter Bay - 02 - Furienlied

Titel: Shelter Bay - 02 - Furienlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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aus dem Fenster. Eine vertraute Gestalt kauerte unter dem Baum. Sie stöhnte, dann begann sie, leise zu singen.
     
    Kein Segel in Sicht auf der tiefblauen See;
    Wie schmerzt dein Verlust mich so sehr
    Und als klopft einer an
    rollen Wellen heran
    Und was lebt, holt zurück sich das Meer.
     
    Wills Herz überschlug sich schmerzhaft, als das Lied halbvergessene Bilder in ihm wachrief. Asias’ eindringliche grüne Augen. Kirks Stimme. Ja, Will hatte dieses Lied zuvor schon einmal gehört. Kirk hatte es gesungen. Damals war Asia bei ihm gewesen und gemeinsam hatten sie der schwermütigen Melodie gelauscht, die so lieblich war und sie zugleich wie tiefe Trauer durchdrang.
    Aber das war nicht Kirks Stimme, sondern ein tiefer, dröhnender Bass. Ein vertrautes, bärenartiges Brummen.
    Sein Herz raste, als er durch den Flur stürzte. Seine Mutter wandte den Blick nicht vom Fernseher, als er an ihrem Zimmer vorbei- und die Treppe hinunterrannte, durch die Hintertür, hinaus in den Garten.
    Der Mann sah zu ihm auf, ohne ein Wort zu sagen.
    »Onkel Carl?«, sagte Will sanft.
    Carl musterte ihn aus trüben Augen. »Meine Flasche ist runtergefallen«, antwortete er.
    Glassplitter glitzerten auf den Steinfliesen. Das Etikett lag mit der Schrift nach unten und hielt noch einen kleinen Rest der Scherben zusammen, über den sich ein spinnwebenartiges Muster aus Rissen zog. Will musste das Etikett jedoch nicht sehen, um zu wissen, was in der Flasche gewesen war. Er ging zu seinem Onkel und kniete sich neben ihn. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    Carl hob eine Hand. Ein blutiger Schnitt verlief über seine Handfläche. »Hab versucht, ’n paar von den Dingern aufzuheben.«
    »Das sollten wir besser mal saubermachen.« In Wills Kopf überschlugen sich die Gedanken – er überlegte fieberhaft, wie er Carl ins Haus schaffen konnte, ohne dass seine Eltern etwas davon mitbekamen. Dad ist vollkommen ausgerastet, als ich ein Knöllchen gekriegt hab. Wie wird er dann erst reagieren, wenn er glaubt, dass Carl wieder trinkt?
    »Tut mir leid, Will«, lallte Carl schwerfällig, als habe sich seine Zunge in einen nassen Schwamm verwandelt. »Ich weiß, ich hab ein ziemliches Chaos angerichtet«. Zutiefst unglücklich blickte er auf die Glassplitter.
    »Schon okay«, versicherte Will seinem Onkel, auch wenn das nicht stimmte. Es war nicht okay. Absolut nicht. Will hatte Carl seit fahren nicht mehr trinken sehen. Nicht einmal ein Glas Wein zu Thanksgiving.
    »Sag deinen Eltern nichts davon.«
    »Mach ich nicht.«
    »Sie werden dich nie wieder in meinem Truck mitfahren lassen.«
    Carl nuschelte etwas Unverständliches, dann fing er wieder an zu singen. Will unterbrach ihn hastig. »Was machst du überhaupt hier?«, fragte er, während er versuchte, seinem Onkel auf die Füße zu helfen.
    »Wollte mal nachsehen«, war die schleierhafte Antwort. Carl wusste eindeutig, dass sie leise sein mussten, denn er flüsterte.
    »Wonach sehen?«
    Doch Carl antwortete nicht.
    Auf der Holztreppe versuchte Will, so leicht wie möglich aufzutreten, was allerdings gar nicht so einfach war, wenn man dabei gleichzeitig einen Einhundertkilomann stützen musste. Er achtete sorgfältig darauf, wohin er seine Füße setzte, und führte Carl in den Vorraum, indem er nur auf den äußersten Rand der Stufen trat, dort, wo sie weniger quietschten.
    Am Ende war die ganze Mühe jedoch völlig umsonst. Mr Archer saß am Esstisch, als sie die Küche betraten. Die Sorge stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als er das Glas absetzte, aus dem er gerade getrunken hatte. »Du blutest«, sagte er zu Carl.
    »Er hat sich die Hand aufgeschnitten«, erklärte Will.
    »Ich hab mir die Hand aufgeschnitten«, wiederholte Carl schwerfällig.
    »Du bist betrunken.« Wills Vater zeigte keine Regung – keine Überraschung, keinen Ärger. Er wandte sich an Will und für einen Moment fürchtete Will, sein Vater würde ihn beschuldigen, dies zugelassen zu haben. Stattdessen sagte Mr Archer: »Setz Kaffee auf, während ich mich um seine Hand kümmere. Und kein Wort zu niemandem. Wenn deine Mutter was davon mitkriegt, stecken wir echt in der Scheiße.«
    Will nickte und übergab Carls massiges Gewicht an die stabile Schulter seines Vaters.
    »Tut mir leid, Bert«, lallte Carl. »Ich hab keine Ahnung, wie das passiert ist. Ich hab bloß ein paar Sachen eingekauft und ich weiß echt nicht, was mich dazu gebracht hat, danach zu greifen …«
    »Leise«, befahl sein Bruder.
    Erschrocken klappte

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