Sherlock Holmes Bisher unbekannte Fälle Sammelband 1
Tat noch einmal erläutern.
Ich sorgte mich um ihn, dass ihm nach Erhalt des unseligen Briefes nichts passierte, aber er hatte bereits mehrmals Morddrohungen erhalten und diese in jedem Fall unbeschadet überlebt. Bisher erhielt er diese immer mündlich, von überführten Straftätern, die er ins Gefängnis oder an den Galgen brachte. Schriftlich hatte ihm noch nie ein Mensch angedroht, ihn umbringen zu wollen.
Holmes würde auf sich aufpassen, das wusste ich und ich hatte die Nachmittagssprechstunde meiner Praxis zu öffnen.
Abends sprachen wir nicht viel. Ich sah Holmes seine Unzufriedenheit an. Er hatte bei der Polizei alles erledigt und nun nichts zu tun und hoffte, schnell einen neuen Fall übernehmen zu können. Sein geradezu genialer Verstand brauchte Arbeit, Leerlauf vertrug er in keiner Weise und je länger Holmes ohne einen Fall zubringen musste, der ihn forderte, desto unausstehlicher geruhte er zu werden.
Als wir uns am folgenden Morgen dem Frühstück widmeten, kam erneut ein Brief. Auch dieser wurde von einem Postbeamten gebracht und glich dem gestrigen wie ein Ei dem anderen. Holmes öffnete ihn, wobei er murmelte: „Ah, wieder ein Brief mit Morddrohungen, vermute ich. Ich hoffe, es sind nicht die gleichen wie gestern, das wäre langweilig.“
Er zog das Papier heraus und entfaltete es. „Hm“, wunderte er sich, während er das Papier drehte und wendete. „Es ist leer, unbeschrieben, aber es fühlt sich feucht an. Watson, es ist feucht! Was hat das zu bedeuten?“
Ratlos sah er mich an, strich über das Papier und befühlte es.
Ich zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht, Holmes. Vielleicht ist der Brief nass geworden, obwohl ich mich zu erinnern glaube, dass es in den letzten Tagen nicht geregnet hat.“
„Unsinn, Watson. Nur das Briefpapier ist feucht, nicht aber der Umschlag. Dieser müsste es jedoch ebenfalls sein, wenn ...“, er brach ab. Die rechte Hand begann zu zittern, dann drückte er sie gegen die Brust. Sein Atem wurde keuchend, stockend und unregelmäßig und das Gesicht mit der markanten Nase und den scharf geschnittenen Zügen verlor alle Farbe. Staunend blickte er auf die linke Hand, die das Papier hielt und ebenfalls zu zittern begann. Er stammelte: „Watson, meine Hände ... Mein Herz, es sticht und ich bekomme keine Luft m...“
Holmes schwankte auf dem Stuhl umher wie ein Betrunkener. Der verblüffte Ausdruck auf seinem Gesicht wich und machte Angst und Entsetzen Platz.
Erschrocken sprang ich auf. „Holmes, was ist mit Ihnen?“
Ich packte ihn und lehnte ihn zurück, öffnete das Hemd und legte meinen Kopf an seine Brust. Das Herz schlug schwach und unregelmäßig. Sollte er einen Herzanfall erleiden? Ich rannte in mein Zimmer und kam mit der Arzttasche zurück, dann packte ich seinen Arm, zog den hageren, aber dennoch schweren Körper hoch und brachte ihn zur Couch, wo er beinahe wie ein Kohlensack niederplumpste. Ich griff ein Injektionsbesteck aus der Tasche und wollte eine Spritze mit einem herzstärkenden Mittel verabreichen, doch Holmes wehrte ab. Noch schwach flüsterte er: „Reiben Sie meine Handflächen mit Alkohol ab, Watson, dann falten Sie den Brief mit einer Pinzette zusammen und stecken ihn in den Umschlag. Wenn das Feuer im Kamin entfacht ist, verbrennen wir alles.“
Er hustete und schloss die Augen. „Ich benötige etwas Ruhe, dann erkläre ich Ihnen, was geschehen ist.“
Ich schaute ihn noch einmal prüfend an, doch er gewann mit jeder Sekunde neue Lebenskraft. Trotzdem legte ich noch einmal mein Ohr an seine Brust und hörte das Herz stärker schlagen. Der Anfall, welcher Art er auch immer gewesen sein mag, schien vorüber zu sein, also tat ich, wie mir geheißen, rieb seine Handflächen mit Alkohol ab und verwahrte den leeren Brief mit einer Pinzette im Umschlag. Anschließend ließ ich Mrs. Hudson das Frühstück abräumen, mir war der Appetit vergangen. Sie gab sich besorgt um Holmes, der schweigend und apathisch auf der Couch saß, und fragte, ob es ihm nicht gut gehe. Doch ich konnte sie in meiner Eigenschaft als Arzt beruhigen.
Nach einer Weile sprach Holmes: „Ich sage nur Seewespe, Watson!“
„Was für eine Wespe?“, fragte ich perplex zurück. „Ich sehe keine Wespe!“
„Der Brief, Watson! Er fühlte sich feucht an! Er wurde mit einer Lösung des Giftes der Seewespe getränkt. Dieses Gift ist ein Kontaktgift, welches in Sekunden durch die Haut in den Körper eindringt. Der anonyme Absender ist wirklich sehr
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