Sherlock Holmes Bisher unbekannte Fälle Sammelband 1
hinter Gittern.
Holmes schaute sich um, so gut es aus der Deckung heraus möglich war, ringsum befanden sich nur Kornfelder, kleine Wäldchen und Wiesen. Kein Mensch und kein Tier waren zu erblicken, keine Rettung oder Hilfe in Sicht und bis Reading lagen noch etwa sieben Meilen vor ihm. Die würde er ohne fahrbaren Untersatz zurücklegen müssen.
Wo sein Gegner auf ihn lauerte, konnte Holmes nicht ausmachen und eine Schusswaffe hatte er nicht bei sich. Er wollte jedoch nicht warten, bis sich sein Feind mit vorgehaltener Waffe näherte und ihm den finalen Schuss gab. Also robbte er, im Schutze des umgestürzten Gefährts, sich eng am Boden mit Zehen und Händen vorwärts bewegend, in das nächstgelegene Kornfeld hinein und weiter Richtung Reading. Nach Stunden erreichte Holmes am Abend erschöpft und unter Mühen den Ort. Nachdem er sich auf der Bahnhofstoilette notdürftig gesäubert hatte, suchte und fand er die verschlossene Polizeistation, telegrafierte auf der Post der Polizei den Mord, da er persönlich keinen Beamten mehr antraf und bekam noch den letzten Zug des Tages nach London, ob seiner zerschlissenen, verschmutzten Kleidung allseits angestarrt.
Sein Anblick, den er mir um Mitternacht präsentierte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Seine Kleidung war verschmutzt und teilweise zerrissen, Abschürfungen bedeckten die Haut an den Armen und im Gesicht gab es einen langen Kratzer. Erschöpft taumelte Holmes in die Wohnung, ich hakte ihn schnell unter und brachte ihn zu einem Stuhl. Dort versorgte ich seine geschundenen Hände, eine Schnittverletzung und half beim Umkleiden. Aus der Küche besorgte ich ihm etwas zu essen und zu trinken, die gute Mrs. Hudson wollten wir nicht aufwecken.
Holmes sprach wenig, er sagte nur: „Fehlschlag, Watson, die Frau, die ich im Verdacht hatte, ist schon lange tot. So tot, wie nun auch der arme Kutscher, der mich zurück nach Reading bringen sollte.“
Dann berichtete er in wenigen Worten seine Erlebnisse des Tages. Er schloss mit den Worten: „Wenn ich nur wüsste, wer mich tot sehen will. Es muss jemand sein, der buchstäblich über Leichen geht, um sein Ziel zu erreichen.“
Holmes schloss einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf. „So viel Hass“, murmelte er, „so viel Hass ...“
Ich musste ihm recht geben und äußerte meine Anteilnahme sowohl an seinen Torturen als auch am Tode des armen unschuldigen Kutschers, der vielleicht Frau und Kinder hinterlässt.
Am darauffolgenden Tag gab sich Inspektor Lestrade die Ehre eines Besuchs bei uns. Holmes hatte sich wieder erholt und mit gutem Appetit das Frühstück verschlungen.
„Mein lieber Mister Holmes“, begann der Inspektor nach der Begrüßung noch im Stehen. „Die Kollegen aus Reading haben uns informiert, dass Sie ganz in der Nähe einen unerfreulichen Zusammenstoß mit einem oder mehreren Unbekannten hatten, bei dem Ihre Droschke zerstört und das Leben des bedauernswerten Kutschers beendet wurden. Auch das Pferd überlebte den Anschlag nicht. Bei der Untersuchung des Tatortes am heutigen frühen Morgen fand man keine Hinweise auf den oder die Täter, nur einige Patronenhülsen lagen hinter einem Felsvorsprung und undeutliche Schuhabdrücke zeigten an, dass sich eine Person vor Ort befunden hatte.
Können Sie Angaben machen, die zur Ergreifung des Täters führen oder Hinweise zur Identität dieser Person geben? Denken Sie, es waren mehrere Personen?“
„Ich habe weder gesehen, wer es gewesen ist, noch, wie viele es waren, und ich habe auch keine Vermutung, wer es gewesen sein könnte“, gab Holmes zurück.
„Nun, ich bin etwas in Eile und muss zu einer anderen Tatortbegehung. Ich darf Sie bitten, morgen in aller Frühe das Kommissariat aufzusuchen und Ihre Aussage zu Protokoll zu geben. Geht das in Ordnung?“
„Selbstverständlich, Inspektor. Ich werde da sein.“
Dann war Lestrade auch schon wieder verschwunden, und Holmes tat es ihm nur wenig später nach, ohne mir Bescheid zu geben, was er vorhatte oder wohin er wollte. Aber so kannte ich meinen Freund. Er kam bald zurück und brachte einen jungen Mann mit, der beinahe noch ein Kind war. Es handelte sich, wie man unschwer an der Kleidung ersehen konnte, um eines seiner Straßenkinder, die ab und zu Aufträge für ihn erledigten oder Botengänge ausführten. Holmes besaß eine Reihe von Helfern und gute Kontakte in alle sozialen Schichten der Gesellschaft, was ihm bei seinen Fällen nicht selten unschätzbare
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