Sherlock Holmes Bisher unbekannte Fälle Sammelband 1
sehr lange zurück. Es war vor unserer gemeinsamen Zeit, muss so etwa vor vierzehn, fünfzehn Jahren gewesen sein. Ich befand mich noch ganz am Anfang meiner Karriere als Detektiv und war noch nicht so bekannt wie heute. Damals geriet ich in einen Fall, in dem eine Frau mehrere Vergehen verübte und darüber hinaus einer Persönlichkeit der Stadt etwas stahl, das ich dann wiederbeschaffte. Ich konnte der Frau nichts beweisen, sagte ihr aber alle ihre Vergehen ins Gesicht und sie lachte mich wutentbrannt aus. Später schickte sie mir Gift und wollte mich ermorden, doch ich bemerkte das Gift und brachte es zur Polizei. Die Frau erlitt einen Nervenzusammenbruch und ihr Verhalten entgleiste derart, dass sie in eine geschlossene Nervenheilanstalt eingewiesen wurde. Dort sollte sie noch immer verweilen. Doch wenn es ihr gelang, von dort zu entfliehen ...“ Er sah mich ernst an. „Watson, ich muss sofort nach Reading und weiter nach Wokingham und überprüfen, ob sich die Frau noch im Gewahrsam der Anstalt befindet und ob sie mich noch töten will oder vielleicht jemanden angestiftet hat, dies für sie zu besorgen.“
„Holmes, so schnell kann ich hier nicht weg. Ich muss morgen die Praxis öffnen, bestellte Patienten kommen und dürfen nicht vor verschlossener Tür stehen!“
„Das geht schon in Ordnung, Watson, ich fahre allein und nehme den Frühzug um sechs Uhr ab Paddington. Kümmern Sie sich um Ihre Geschäfte und ich kümmere mich um meine Ermordung oder vielmehr um die Verhinderung derselben.“
Wie gesagt, so getan. Wie ich später erfuhr, erreichte Holmes am nächsten Vormittag problemlos Reading und fuhr per Kutsche nach Wokingham, einer kleinen Stadt im ländlichen Stil, westlich von London gelegen. Sie existierte bereits seit dem frühen Mittelalter und gab der Umgebung durch die angesiedelte Industrie viele Arbeitsplätze. Die Ziegelei war zwar schon viele Jahre geschlossen, doch diverse Gebäude der Stadt wie die Townhall und die Nervenheilanstalt verdankten ihr ihr äußeres Aussehen.
Ohne lange Wartezeit bekam Holmes einen Termin beim Leiter der Nervenheilanstalt, der bereitwillig mit ihm über die bewusste Frau sprach. Holmes musste sich anhören, dass die verwirrte Dame seit einigen Jahren nicht mehr unter den Lebenden weilte. Sie hatte sich in ihrem Zimmer mit dem Bettzeug selbst erdrosselt und erfolgreich zu Tode gebracht. Sie schied somit als Briefschreiber und Giftversender oder Anstifter für diese Taten aus. Angehörige oder enge Freunde der Patientin waren der Anstaltsleitung nicht bekannt geworden, sie hatte ein anonymes Grab auf dem Anstaltsfriedhof erhalten und die Spur löste sich hiermit in Luft auf. Hier kam Holmes nicht weiter. Er hatte eine Sackgasse erreicht und leicht frustriert begab er sich auf den Rückweg.
Er hatte noch nicht viele Meilen mit einer Droschke zurück nach Reading hinter sich gebracht, als das Fensterglas der Droschkentür zerbarst und ihn mit scharfen Splittern überzog, trotz der Fahrgeräusche konnte er einen lauten Knall hören, dem weitere folgten. Ganz offensichtlich wurde das Vehikel beschossen. Gerade als Holmes dem Kutscher eine schnellere Fahrt anweisen wollte, um aus der Gefahrenzone zu gelangen, geriet das Gefährt in arges Schlingern. Das Pferd wieherte schmerzerfüllt auf, dann stürzte es, wurde von den Rädern überrollt und die Droschke kippte auf die Seite, wo sie noch einige Yards weiterrutschte.
Holmes wurde im Innern herumgeschleudert, blieb jedoch unverletzt, er kletterte heraus und ging auf der schussabgewandten Seite der umgestürzten Droschke in Deckung. Ein kurzer Blick genügte ihm, um zu erkennen, dass Kutscher und Zugpferd tot waren. Da hockte er nun, zwei Meilen hinter Wokingham, hinter einer kaputten Kutsche, allein und von einem Schützen mit einem Gewehr bedroht, den Tod des armen, unschuldigen Kutschers bedauernd. Zumindest nahm er an, es mit nur einem Schützen zu tun zu haben, er ahnte, dass der morddrohende Briefschreiber hinter der grausigen Tat steckte. Er musste ihm seit dem frühen Morgen gefolgt sein, ja musste sich sogar in demselben Zug wie er befunden haben. Eine andere Person als Täter konnte er sich nicht vorstellen. Auch konnte er sich noch immer nicht vorstellen, wer ihm nach dem Leben trachtete. Holmes besaß etliche Neider und einige Leute waren nicht gut auf ihn zu sprechen, aber richtige Feinde, die ihn lieber heute als morgen tot gesehen hätten, besaß er nur wenige. Und davon saßen die meisten
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