Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
Petroleumlampen
angezündet worden. Der größere Teil von ihnen waren Arbeiter, die von der Tagesschicht im unteren Teil des Tales heimkehrten. Wenigstens ein Dutzend von ihnen waren Bergleute, wie man aus den
geschwärzten Gesichtern und den Sicherheitslaternen, die sie bei sich hatten, schließen konnte. Sie saßen rauchend in einer Gruppe zusammen und unterhieltensich mit gedämpfter Stimme, wobei sie ab und zu einen Blick auf zwei Männer warfen, die auf der gegenüberliegenden Seite des Wagens saßen und deren Uniform und Abzeichen sie als Polizisten auswies.
Mehrere Frauen aus der Arbeiterklasse und zwei Reisende, die kleine, ortsansässige Ladenbesitzer sein mochten, bildeten den Rest der Gesellschaft. Außerdem war da ein junger Mann, der allein für sich in der Ecke saß. Mit diesem wollen wir uns näher befassen. Schauen wir ihn uns also etwas genauer an.
Es ist ein junger Mann mittlerer Größe mit frischer Gesichtsfarbe. Man möchte annehmen, daß er so um die dreißig Jahre alt ist. Er hat große, kluge, humorvolle graue Augen, die einen forschenden Ausdruck annehmen, wenn er durch die Brille aufmerksam die Leute um sich herum ansieht. Man sieht gleich, daß er ein offener und ehrlicher Mensch ist, dem daran liegt, mit allen Leuten gut auszukommen. Jedermann kann leicht seine gesellige Natur erkennen, seine Schlagfertigkeit und sein freundliches Wesen. Und doch konnte derjenige, der seine Züge etwas gründlicher studierte, eine gewisse Entschlossenheit entdecken.
Das feste Kinn und die zusammengepreßten Lippen ließen vermuten, daß da unvermutete Tiefen
vorhanden waren und dieser nette junge Ire mit den braunen Haaren vielleicht doch nicht so schlicht und simpel war, wie es auf den ersten Blick schien.
Nachdem er eine oder zwei beiläufige Bemerkungen zu dem nächstsitzenden Bergmann gemacht, aber
nur ein abweisendes Brummen als Antwort bekommen hatte, hatte sich der Reisende in ein nicht zu ihm passendes Schweigen zurückgezogen und starrte trübsinnig aus dem Fenster hinaus in die verblassende Landschaft.
Es war keine vergnügliche Aussicht. Durch die wachsende Dämmerung glühte der rote Schein der
Hochöfen. Große Schlackenberge und Aschenhalden türmten sich zu beiden Seiten auf, überragt von den Fördertürmen der Zechen. Zusammengedrängte Gruppen einfacher, billiger Holzhäuser, deren Fenster
nach und nach aufzuleuchten begannen, tauchten hier und dort neben der Straße auf, und an den
zahlreichen Haltestellen drängten sich die rußverschmutzten Arbeiter.
Die Eisen- und Kohletäler des Vermissa-Distrikts waren keine Ferienorte für Müßiggänger oder
Bildungshungrige. Überall fand man die Zeichen härtesten Lebenskampfes, überall sah man die grobe Arbeit, die getan werden mußte, und die kräftigen Arbeiter, die sie taten.
Der junge Reisende sah hinaus in dieses düstere Land mit einer Mischung aus Abscheu und Interesse, die verriet, wie neu ihm diese Szenerie war. Ab und zu zog er einen umfangreichen Brief aus der Tasche, in den er immer wieder hineinschaute und auf dessen Rand er einige Notizen schrieb. Einmal zog er von hinten etwas aus seiner Weste, was man kaum im Besitz eines solchen jungen Mannes vermutet hätte. Es war ein großer, schwerer Marine-Revolver. Als er ihn schräg zum Licht hielt, zeigte der Schimmer auf den Kupferrändern der Patronen in der Trommel an, daß er voll geladen war. Schnell verstaute er ihn wieder in seiner Geheimtasche, aber einer der Arbeiter, der auf der nächsten Bank saß, hatte ihn
beobachtet.
»Hallo Kumpel!« sagte er, »Du scheinst ja gut gerüstet!«
Der junge Mann lächelte etwas verlegen.
»Ja«, sagte er, »dort, wo ich herkomme, brauchen wir dergleichen manchmal.«
»Und wo ist das?«
»Ich komme aus Chicago.«
»Fremd in diesem Teil der Welt?«
»Ja.«
»Vielleicht kannst du dergleichen hier auch brauchen«, sagte der Arbeiter.
»Ah, ist das wahr?« Der junge Mann schien interessiert.
»Hast du nichts von dem gehört, was sich hier so tut?«
»Nichts Besonderes.«
»Nanu, ich dachte, man redet im ganzen Land davon. Aber du wirst bald genug davon hören. Was hat
dich hergebracht?«
»Ich habe gehört, hier gibt es Arbeit für einen, der arbeiten will.«
»Bist du Mitglied der Gewerkschaft?«
»Aber sicher.«
»Dann wirst du auch einen Job kriegen. Hast du Freunde?«
»Noch nicht, aber ich habe Möglichkeiten, welche zu finden.«
»Wie soll das zugehen?«
»Ich bin Freimaurer. Es gibt in jeder Stadt eine
Weitere Kostenlose Bücher