Sherlock Holmes - Das Tal der Furcht
nicht wahr?«
»Um Himmels willen, still!« rief der Bergmann, blieb erschrocken stehen und starrte erstaunt auf seinen Gefährten. »Mann, Sie werden hier in der Gegend nicht alt, wenn Sie so etwas auf offener Straße sagen!
Schon mancher ist wegen weniger totgeschlagen worden.«
»Nun gut, ich weiß ja nichts von ihnen, ich habe bloß von ihnen gelesen.«
»Und ich will nicht sagen, daß es nicht die Wahrheit ist, die Sie gelesen haben.« Der Mann sah sich nervös um, als er sprach und spähte forschend in die Dunkelheit, als ob dort Gefahr lauere. »Wenn Töten Mord ist, dann haben wir es hier weiß Gott mit Mord zu tun, und das nicht zu knapp. Aber nennen Sie niemals den Namen von Jack McGinty in diesem Zusammenhang, denn jeder Flüsterton wird ihm
hinterbracht. Er erfährt alles und ist keiner von denen, die so etwas hingehen lassen. Nun, da ist das Haus, das Sie suchen, das hier, das ein bißchen von der Straße zurück steht. Sie werden selbst feststellen, daß der alte Jacob Shatter, der es führt, einer der ehrlichsten Leute in dieser Stadt ist.«
»Danke!« sagte McMurdo, und nachdem er seinem neuen Freund die Hand geschüttelt hatte, stapfte er, seine Reisetasche in der Hand, mühsam den Pfad hinauf, der zu dem Gästehaus führte, an dessen Haustür er resolut klopfte.
Gleich darauf wurde die Tür von jemand geöffnet, der so ganz anders aussah, als er es erwartet hatte. Es war eine Frau, jung und einmalig schön. Sie war ein deutscher Typ, hellhäutig und blond, und hatte in interessantem Gegensatz dazu wunderschöne, dunkle Augen, die den Fremden jetzt erstaunt und verwirrt ansahen, was die Farbe in ihre blassen Wangen trieb und sie noch hübscher machte. Eingerahmt in das helle Licht der offenen Tür, schien es McMurdo, als habe er noch nie ein schöneres Bild gesehen. Hätte er ein liebliches Veilchen auf einer der schwarzen Schlackenhalden gefunden, wäre er nicht so erstaunt gewesen. Er war so verzaubert, daß er sie, ohne ein Wort zu sagen, anstarrte. Und sie war es dann, die das Schweigen brach.
»Ich dachte, es sei mein Vater«, sagte sie mit einem leichten Anflug eines deutschen Akzentes. »Wollten Sie zu ihm? Er ist in der Stadt. Ich erwarte ihn jeden Augenblick zurück.«
McMurdo fuhr fort, sie in offener Bewunderung anzustarren, bis sie verwirrt den Blick senkte.
»Nein, Miss«, sagte er schließlich, »ich hab's nicht eilig, ihn zu sehen. Aber Ihr Haus wurde mir als Gästehaus empfohlen. Ich dachte, daß es vielleicht das richtige für mich sei und nun bin ich ganz sicher, daß es das ist.«
»Sie wissen schnell, was Sie wollen«, sagte sie lächelnd.
»Ich bin kein Blinder«, antwortete er.
Sie lachte über das Kompliment. »Kommen Sie herein, Sir«, sagte sie. »Ich bin Ettie Shafter, Mr. Shafters Tochter. Meine Mutter ist tot und ich führe ihm das Haus. Sie können sich im Vorderzimmer an den Ofen setzen, bis Vater kommt. — Ah, da kommt er schon. Sie können alles mit ihm abmachen.«Ein beleibter, älterer Mann kam mühsam den Gartenweg dahergestapft. Mit ein paar Worten hatte McMurdo erklärt,
was er wollte. Ein Mann namens Murphy hatte ihm in Chicago die Adresse gegeben, die er wieder von jemand anderem hatte. Der alte Shatter fand das in Ordnung. Der Fremde verhandelte nicht lange wegen des Preises, war mit allem sofort einverstanden und schien offensichtlich nicht knapp bei Kasse zu sein.
Für sieben Dollar in der Woche, im voraus zahlbar, sollte er Kost und Logis erhalten.
So kam es, daß McMurdo, nach eigenem Eingeständnis flüchtig vor dem Gesetz, sich unter dem Dach der Shafters niederließ -der erste Schritt, der zu einer langen und dunklen Kette von Ereignissen führen sollte, die in einem weit entfernten Land endeten.
2. KAPITEL
Der Meister vom Stuhl
McMurdo war ein Mann, der rasch überall bekannt wurde. Innerhalb einer Woche war er im Hause der
Shafters gewiß die wichtigste Person geworden. Es waren zwar noch ein Dutzend andere Gäste da, aber das waren ehrliche Werkmeister oder ganz normale Büroangestellte und Verkäufer von einem ganz
ändern Schlag als der junge Ire. Wenn sie am Abend alle beisammen waren, spielte McMurdo die große Geige. Seine Spaße waren die besten, seine Unterhaltung die glänzendste und seine Lieder die schönsten.
Er war der geborene Gesellschafter, zog wie ein Magnet alle an und verbreitete um sich Fröhlichkeit und gute Laune.
Und doch führte er sich von Zeit zu Zeit so auf wie in dem Eisenbahnabteil. Plötzlich
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