Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
täglichem Kontakt mit ihr zu sein, ohne eine leidenschaftliche Zuneigung für sie zu empfinden. Sie nehmen mir das nicht übel, Mr. Holmes?«
»Ich nehme Ihnen Ihre Gefühle nicht übel. Aber ich hätte es Ihnen übelgenommen, wenn Sie sie ausgedrückt hätten, denn in gewissem Sinne stand die junge Dame ja unter Ihrem Schutz.«
»Nun, das mag sein«, sagte der Millionär. Die Rüge hatte ihm wieder das ärgerliche Glitzern in die Augen zurückgebracht. »Ich gebe nicht vor, besser zu sein, als ich nun einmal bin.
Mein Leben lang habe ich mir immer genommen, was ich haben wollte. Und niemals habe ich etwas sehnsüchtiger gewünscht und gewollt, als diese Frau zu besitzen. Ich habe es ihr gesagt.
«
»Oh, Sie haben es ihr gesagt!«
Wenn Holmes sehr bewegt war, konnte er besonders streng aussehen.
»Ich sagte ihr, daß ich sie heiraten würde, wenn ich nur könnte, aber das war mir nicht möglich. Ich sagte ihr, daß Geld keine Rolle spiele und ich alles tun würde, sie glücklich zu machen. «
»Wirklich sehr großzügig von Ihnen«, sagte Holmes mit Hohn in der Stimme.
»Sehen Sie mal her, Mr. Holmes, ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich Ihren Rat brauche, nicht um mich wegen der Moral belehren zu lassen. Ich habe Sie nicht gebeten, mich laufend zu kritisieren.«
»Es ist sowieso nur um der jungen Dame willen, daß ich diesen Fall übernehme«, sagte Ho lmes stur. »Ich weiß nicht, ob all das, wessen sie beschuldigt worden ist, wirklich schlimmer ist, als was Sie inzwischen schon zugegeben haben. Sie haben ein schutzloses Mädchen, das sich unter Ihrem Dach befand, zu ruinieren versucht. Ihr reichen Herren dieser Welt müßtet endlich einmal lernen, daß nicht alles, wonach euch der Sinn steht, wirklich erreichbar ist.«
Zu meiner Überraschung nahm der Goldkönig diese Rüge gelassen hin.
»Ja, so sehe ich das inzwischen auch. Ich danke Gott, daß sich meine Pläne nicht so verwirk-licht haben, wie ich es mir gewünscht habe. Sie wollte nicht. Sie wollte auf der Stelle mein Haus verlassen.«
»Und warum hat sie es nicht getan?«
»Nun, zunächst waren einmal andere Menschen von ihr abhängig. Für sie war es keine Kle inigkeit, diese Leute im Stich zu lassen und ihre Stellung aufzugeben. Als ich geschworen ha t-te- das mußte ich tun - daß ich sie nie wieder belästigen würde, entschloß sie sich zum Ble iben. Aber es gab noch einen Grund: Sie wußte, daß sie Einfluß auf mich hatte und daß ihr Einfluß auf mich stärker war, als alles andere, das mich je beeinflußt hatte. Sie wollte Gutes draus machen.«
»Wie denn?«
»Nun, sie verstand etwas von meiner Macht. Sie ist groß, Mr. Holmes, größer, als ein normaler Mensch es sich vorstellen kann. Ich kann aufbauen oder zerbrechen. Sehr oft zerbreche ich. Und es handelt sich nicht immer nur um einzelne Menschen. Es ging um Gemeinden, Städte, ja sogar Nationen. Geschäft ist ein hartes Spiel, die Schwachen werden an die Wand gedrückt. Ich habe dieses Spiel gespielt, hart, wie nur einer. Ich habe viel einstecken müssen und ich habe es anderen wieder gesteckt. Gnade gab es nicht. Aber sie sah die Dinge anders.
Vermutlich hatte sie recht. Sie glaubte und sprach es auch deutlich aus, daß das Vermögen eines Mannes, wenn es mehr betrug, als er täglich brauchte, auf den Ruinen von Zehntausen-den von Menschen aufgebaut ist, die nicht mehr das Notwendige zum Leben hatten. So sah sie es. Sie sah an den Dollars vorbei einem Ziel entgegen, das haltbarer und dauerhafter war.
Sie merkte bald, daß ich ihr zuhörte. Und sie glaubte, daß sie der Welt diente, wenn sie meine Handlungsweise steuerte. So blieb sie, und dann passierte dies.«
»Können Sie es sich irgendwie erklären?«
Der Goldkönig hielt eine Weile inne, seinen Kopf in den Händen vergraben und tief in Gedanken verloren.
»Es sieht sehr finster für sie aus. Ich muß das zugeben. Und Frauen leben mehr von innen her und tun oft Dinge, die ein Mann nicht nachvollziehen kann. Zuerst war ich so erschüttert und so mitgenommen, daß ich glatt angenommen hatte, daß sie irgendwie durch irgendwelche Sachen verführt worden war, etwas gegen die eigene Art zu tun. Eine Erklärung kam mir in den Sinn. Ich erzähle sie Ihnen, Mr. Holmes, ob sie etwas wert ist oder nicht. Ganz gewiß ist, daß meine Frau von bitterer Eifersucht getrieben war. Es gibt auch eine Eifersucht auf die Seele eines anderen, die genau so heftig sein kann, wie Eifersucht auf den Körper. Meine Frau hatte keinen Grund - sie
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