Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
wußte auch, daß ich ihr physisch treu war. Aber sie war sich völlig im klaren, daß dies englische Mädchen Einfluß über mich und meine Handlungsweise hatte, einen Einfluß, den sie nie besessen hatte. Es war ein Einfluß zum Guten hin. Aber das machte die Sache nicht besser. Sie war verrückt in ihrem Haß. Die Le idenschaft des Amazonas war in ihrem Blut. Möglicherweise hat sie geplant, Miß Dunbar umzubringen - oder sagen wir, sie könnte sie mit der Pistole bedroht haben, um sie einzuschüchtern und sie so zu veranlassen, uns zu verlassen. Vielleicht hat es dann einen Kampf gegeben, die Pistole ging los und erschoß die Frau, die sie in der Hand trug.«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, sagte Holmes. »Tatsächlich ist es die einzige plausible Alternative zu vorsätzlichem Mord. «
»Aber sie behauptet fest, dem sei nicht so gewesen.«
»Na, das ist aber nicht endgültig, oder? Man kann verstehen, wenn eine Frau, die in eine derart prekäre Lage gerät, macht, daß sie nach Hause kommt und dort feststellt, daß sie immer noch den Revolver in der Hand hält. Es ist sogar möglich, daß sie ihn zwischen ihre Kleider wirft, ohne daß sie richtig weiß, was sie tut und wenn sie dann gefragt wird, könnte sie versuchen sich herauszulügen und so zu tun, als wisse sie von nichts. Denn alle anderen Erklärungen sind unmöglich. Was spricht gegen einen solchen Verdacht?«
»Miß Dunbar selber.«
»Nun, vielleicht.« Holmes sah auf seine Uhr.
»Sicherlich bekommen wir die notwendigen Erlaubnisscheine heute morgen und können noch den Abendzug nach Winchester nehmen. Wenn ich erst mit der jungen Dame gesprochen ha-be, werde ich wohl etwas klarer sehen und Ihnen dann mehr von Nutzen sein, wenn ich auch nichts versprechen kann. Wir sind noch längst nicht am Ziel unserer Wünsche angelangt. «
Die offiziellen Papiere zu bekommen, erwies sich als schwieriger, als wir zunächst angenommen hatten. Statt noch am Abend nach Winchester zu fahren, begaben wir uns nach Thor Place, dem Gut in Hampshire von Mr. Neil Gibson. Er begleitete uns zwar nicht selber, aber wir hatten die Adresse von Sergeant Coventry von der Ortspolizei, der die ersten Untersuchungen geführt hatte. Es war ein großer, dünner Mann, der geheimnisvoll und mysteriös tat und damit den Eindruck vermittelte, daß er mehr wußte oder ahnte, als er zuzugeben wagte.
Er hatte ebenso einen Trick, daß er plötzlich seine Stimme zu einem Flüsterton herabsenkte, als ob er etwas überaus Wichtiges anrührte, obgleich seine Informationen ziemlich allgemein waren. Aber es stellte sich bald he raus, daß hinter diesen Tricks ein aufrechter, ehrlicher Mann steckte, der nicht zu stolz war, unsere Hilfe dankbar in Anspruch zu nehmen.
»Jedenfalls habe ich lieber Sie hier, Mr. Holmes, als Scotland Yard«, sagte er. »Wenn Scotland Yard in einem Fall auftritt, dann hat die lokale Polizei keine Chance mehr, die Sache auf eigene Weise erfolgreich zu Ende zu bringen. Man kriegt im Gegenteil noch Vorwürfe, daß man versagt hat. Aber Sie spielen, wie man hört, ein faires Spiel. «
»Ich brauche in diesem Fall überhaupt nicht hervorzutreten«, sagte Holmes zur großen Erleichterung unseres me lancholischen Bekannten. »Wenn ich einen Fall geklärt habe, dann bitte ich nicht darum, daß mein Name erwähnt wird.«
»Das ist wirklich entgegenkommend von Ihnen, ganz gewiß. Daß man Ihrem Freund, Dr.
Watson, trauen kann, das weiß ich auch. Wir wollen jetzt hinuntergehen und ich hätte eine Frage, die ich Ihnen gerne stellen möchte. Ich würde das keiner anderen Seele als Ihnen anvertrauen. « Er sah sich um, als wage er es kaum, seinen Gedanken zu äußern. »Glauben Sie, daß man einen Fall gegen Mr. Neil Gibson selber aufstellen könnte? «
»Das habe ich mir auch schon überlegt.«
»Sie kennen Miss Dunbar nicht. Sie ist in jeder Beziehung eine wunderbare Frau. Er mag sich sehr wohl gewünscht haben, die Frau aus dem Wege zu haben. Und diese Amerikaner greifen schneller als unsere Leute zur Pistole. Es war seine Pistole, wissen Sie.«
»Konnte das ganz deutlich festgestellt werden?«
»Ja, Sir, sie gehörte zu einem Paar, das er besaß.«
»Eine von einem Paar? Wo ist die andere?«
»Na ja, der Herr hat eine ganze Reihe von allen möglichen Feuerwaffen. Wir haben nicht nach dieser zweiten Pistole gesucht - aber der Kasten war für zwei gemacht. «
»Wenn es eine von einem Paar war, dann muß es doch möglich sein, die andere zu finden.«
»Wir
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