Sherlock Holmes - Der Vampir von Sussex
Nervenzusammenbruch stehend identifizierte. »Sie sind erregt, Mr. Bates«, sagte Holmes. »Bitte, setzen Sie sich doch. Ich fürchte, ich kann mir nur sehr wenig Zeit für Sie nehmen, denn um elf Uhr habe ich eine andere Verabredung.«
»Ich weiß davon«, sagte unser Besucher schweratmend. Wie ein Asthmatiker schoß er seine kurzen Sätze heraus. »Mr. Gibson kommt. Mr. Gibson ist mein Chef. Ich bin der Manager seines Anwesens. Mr. Holmes, er ist ein Verbrecher. Er ist ein ganz durchtriebener Verbrecher. «
»Eine schlimme Anschuldigung, Mr. Bates.«
»Ich muß mich deutlich ausdrücken, Mr. Holmes, denn die Zeit ist kurz. Nicht um alles in der Welt möchte ich, daß er mich hier findet und er müßte jetzt jeden Augenblick kommen. Aber ich war zeitlich so in der Klemme, daß ich nicht eher kommen konnte. Sein Sekretär, Mr.
Ferguson, hat mir erst heute morgen erzählt, daß er sich mit Ihnen verabredet hat.«
»Und Sie sind sein Manager?«
»Ich werde kündigen. In ein paar Wochen werde ich die ganze verfluchte Sklaverei hinter mir haben. Ein harter Mann, Mr. Holmes. Zu allen, die um ihn herum leben, ein sehr harter Mann.
Seine öffentlichen guten Taten deckt sein privates Zukurzkommen nur sehr dürftig zu. Aber seine Frau war sein hauptsächliches Opfer. Er behandelte sie brutal - ja, Sir, brutal! Wie sie zu Tode gekommen ist, weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, daß er ihr das Leben oft zur Hölle gemacht hat. Sie war ein Wesen, das aus den Tropen stammte. Brasilianerin von Geburt, aber das wissen Sie sicherlich.«
»Nein, das ist mir entgangen.«
»In den Tropen geboren und mit tropischem Temperament ausgestattet. Ein Kind der Sonne und voller Leidenschaft. Sie hat ihn ge liebt, wie nur eine solche Frau lieben kann. Aber als ihre physischen Reize dahinschwanden ... Ich habe mir sagen lassen, daß sie einst sehr schön war ... Nichts hielt ihn mehr an ihr. Wir hatten sie alle sehr gerne. Wir fühlten mit ihr. Wir haßten ihn dafür wie er sie behandelte. Aber er ist durchtrieben und gerissen. Das ist alles, was ich Ihnen sagen wollte. Nehmen Sie ihn nicht, wie er sich gibt. Da ist mehr dahinter. Und nun gehe ich. Nein, nein, halten Sie mich nicht auf. Er muß wirklich jeden Augenblick kommen. «
Mit einem ängstlichen Blick auf die Uhr rannte unser Besucher buchstäblich zur Tür hinaus und verschwand.
»So, so«, sagte Holmes, nachdem er eine Zeitlang geschwiegen hatte. »Mr. Gibson scheint ja einen wirklich treu ergebenen Haushalt zu haben. Aber die Warnung ist natürlich nützlich.
Jetzt brauchen wir bloß noch zu warten, bis der Mann selber erscheint.«
Genau zur angegebenen Zeit hörten wir schwere Schritte auf dem Flur und der berühmte Millionär wurde in unser Zimmer geführt. Zum erstenmal begegnete ich ihm aus der Nähe. Ich verstand jetzt nicht nur die Ängste und Abneigung seines Managers, sondern auch die harten Kritiken, mit denen seine Gegner in der Geschäftswelt ihn belegten. Wenn ich ein Skulpteur wäre und die ideale Figur eines erfolgreichen Geschäftsmannes zu bilden hätte, die eisernen Nerven, das skrupellose Gewissen, dann wäre Mr. Neil Gibson mein ideales Modell gewo rden. Seine große, hagere Gestalt ließ an Hunger und Entbehrung denken. Ein Abraham Lin-coln, der aber keinen hohen Idealen, sondern niederen Zielen nachstrebt, könnte diesen Mann illustrieren. Sein Gesicht hätte aus Granit geschlagen sein können, es war hart, bewegungslos, faltig, unnachgiebig mit tiefen Falten, den Narben vieler Krisen. Goldgraue Augen blickten gewitzt unter den stacheligen Brauen hervor, als er uns, einen nach dem anderen, prüfend ansah. Er verbeugte sich pflichtgemäß, als Holmes mich vorstellte. Danach zog er mit einer alles beherrschenden Geste einen Stuhl zu meinem Gefährten heran und setzte sich so, daß seine knochigen Knie ihn beinah berührten.
»Lassen Sie es mich geradeheraus sagen, Mr. Holmes«, begann er, »daß Geld in diesem Falle keine Rolle spielt. Sie können es verbrennen, wenn es hilft, die Wahrheit zu beleuchten. Diese Frau ist unschuldig und diese Frau muß rehabilitiert werden und Sie sollen das bewerkstelligen. Nennen Sie mir Ihre Summe. «
»Meine berufliche Liquidation ist immer die gleiche, und ich ändere sie nicht«, sagte Holmes kühl, »es sei denn, daß ich in manchen Fällen ganz und gar darauf verzichte.«
»Na, gut, wenn die Dollars Ihnen nichts bedeuten, dann denken Sie an Ihren Ruf. Wenn Sie diesen Fall klären, dann wird jede Zeitung in
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