Sherlock Holmes - Der verwunschene Schädel
benutzte.“
„Mr Vorpsi“, erklärte Holmes zu meiner allergrößten Verwunderung, „ich glaube, der Fall interessiert mich. Bitte, fahren Sie fort!“
„Danke sehr höflich! Also, der Wojewode ist in einer misslichen Lage. Einerseits muss er Unruhen vermeiden, andererseits aber auch den ausländischen Gast schützen. Gastfreundschaft gilt bei uns als fast noch heiliger als Blutrache. Ich habe mir daher erlaubt, einen Lisans, einen Reisepass des Wojewoden, für Sie vorzubereiten – auch für Sie, Dr. Watson. Er ermöglicht Ihnen freie Ein- und Ausreise und zeitlich unbegrenzten Aufenthalt. Außerdem verpflichtet er jede Behörde im Land, Sie uneingeschränkt zu unterstützen. Und für Ihre Unkosten steht selbstverständlich ein Honorar zur Verfügung.“ Er nannte einen Pfundbetrag, bei deren Nennung mir fast schwindelig wurde. Noch niemals wurde Sherlock Holmes ein höheres Honorar angeboten!
„Erlauben Sie, Mr ... Vorpsi“, warf ich ein, „ich werde mich an der Untersuchung dieser Vorkommnisse keinesfalls beteiligen!“
„Schade, Dr. Watson, sehr schade. Aber für den Fall Ihres Sinneswandels – auf den ich sehr hoffe – lasse ich Ihnen Ihren Lisans hier!
Die Hälfte des Honorars ist übrigens bei Vertragsabschluss fällig, bitte sehr höflich!“
Vorpsi reichte Holmes ein dickes Bündel Geldscheine, und der nahm sie an! War er denn wahnsinnig geworden?
Nachdem mein Freund noch eine Reihe weiterer Details geklärt und Mr Vorpsi schließlich hinausbegleitet hatte, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. „Wie können Sie sich auf so ein unsinniges Abenteuer einlassen, Holmes!“, schimpfte ich. „In einem Land, das nach allem, was man hört, im Mittelalter stecken geblieben ist.
Einen Werwolf suchen! Das ich nicht lache ...“
„Auch der Geisterhund der Familie Baskerville war am Ende ebenso wenig ein übernatürliches Wesen wie es zweifellos der Werwolf von Arberija sein wird, Watson. Ich verlange auch nicht, dass Sie mich begleiten. Aber darf ich Sie und ihre verehrte Frau Gemahlin vielleicht zu einem kleinen Urlaub einladen? Was halten Sie von Süditalien? Vielleicht Brindisi? Lockt Sie nicht der Negroamaro? Ein wunderbarer Rotwein. Und von Brindisi aus setzen wir nach Kerkyra über. Die Insel war immerhin bis 1864 britisch. Das Fährschiff braucht zwar dreizehn Stunden, aber Corfu-Stadt entschädigt als prachtvolles Beispiel für den Export venezianischer Architektur in die Ägäis. Und die Lesegesellschaft von Corfu, 1836 gegründet von Petros Brailas-Armenis, ist allemal einen Besuch wert. Sie kann mit jedem vornehmen englischen Gentleman’s Club mithalten. So könnten Sie sich ein wenig erholen und wären trotzdem in meiner Nähe.
Auf Ihre Mithilfe möchte ich weniger denn je verzichten.“ Zu meinem Ärger teilte meine Frau meine Skepsis keineswegs.
„Mit Holmes auf den Kontinent! James-Schatz! Wie wundervoll!“ Ihren Küssen vermochte ich nicht lange zu widerstehen.
Ich will den geneigten Leser nicht mit der Schilderung der ereignislosen Kanal-Überfahrt oder der Zugfahrt zur Hafenstadt Brindisi via Milano und Bologna langweilen. Meine Frau genoss, munter mit einem aufgeräumten, charmant wie seltenen Sherlock Holmes plaudernd, die Reise entlang des Westsaums der Ägäis ebenso wie die lange Überfahrt um die Südspitze von Kerkyra nach Corfu, der Stadt des Heiligen Spyridon. Im Hotel Konstantinoupolis mit seinen schönen alten Treppen fand unsere Reise vorerst ein Ende. Von hier aus wollte Holmes nach Arberija weiterreisen, während wir auf Nachrichten von ihm oder seine Rückkehr warteten. Unser letztes Abendessen mit ihm gestaltete sich recht melancholisch. Holmes sprach wenig und begab sich früh zur Ruhe.
Als meine Frau und ich zum Frühstück hinuntergingen, überreichte mir der Wirt einen Brief.
Mir liegen Abschiedsszenen nicht, mein guter Watson, verzeihen Sie bitte! Leider war, anders als ein englischer Schmuggler, kein einheimischer Fährmann bereit, mich nach Arberija zu bringen. Wenn Sie in einer Woche nichts von mir hören, reisen Sie nach Hause. Ich werde allein zurechtkommen. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau Gemahlin. Gott mit Ihnen. SH
Während der folgenden Woche, die wie im Fluge verging, blickte ich oft, im Schatten eines Olivenbaumes stehend, durch mein Spektiv über die schmale Meerenge nach Arberija hinüber – ein sandfarbenes Land ohne Vegetation. Abweisend lag es in der Sonne, Menschen konnte ich nicht erblicken. Und dort trieb sich mein Freund
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