Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
Vom Netzwerk:
war so groß, dass er buchstäblich oben am Türbalken anstieß, und so umfangreich, dass er die Türöffnung völlig auszufüllen schien. Auf seinem breiten, mit zahllosen Runzeln übersäten, sonnenverbrannten Gesicht spiegelten sich alle schlechten Leidenschaften. Er wandte den Blick bald mir, bald meinem Freund zu, und dabei gaben ihm seine tiefliegenden, gelb unterlaufenen Augen und die weit vorstehende schmale, fleischlose Nase das Aussehen eines grimmigen alten Raubvogels.
    »Welcher von euch beiden ist Holmes?«, fragte er.
    »So heiße ich. Aber ich habe nicht das Vergnügen …«, antwortete mein Freund ruhig.
    »Ich bin Dr. Grimesby Roylott von Stoke Moran.«
    »Darf ich bitten, dass Sie Platz nehmen, Herr Doktor«, sagte Holmes verbindlich.
    »Fällt mir nicht ein. Meine Stieftochter ist da gewesen. Ich bin ihr nachgegangen. Was hat sie Ihnen gesagt?«
    »Es ist noch etwas kalt für die Jahreszeit!«, gab Holmes zur Antwort.
    »Was hat sie Ihnen gesagt?«, schrie der andere wütend.
    »Trotzdem soll sich, wie ich höre, die Krokusblüte ganz gut anlassen«, fuhr Holmes unerschütterlich fort.
    »Macht nur keine Winkelzüge«, rief jetzt der Unhold, indem er einen Schritt vortrat und die Reitpeitsche schwang. »Ich kenne Euch Schurken. Habe schon längst von Euch gehört. Ihr seid Holmes, der Schnüffler!«
    Mein Freund lächelte.
    »Holmes, der Allerweltslückenbüßer!«
    Sein Gesicht erheiterte sich immer mehr.
    »Holmes, der General-Kriminalpolizeispitzel!«
    Jetzt lachte Holmes hell auf. »Sie sind ja äußerst witzig«, sagte er. »Wenn Sie hinausgehen, machen Sie auch die Tür zu, es zieht ganz entschieden.«
    »Erst sage ich meine Sache, und dann gehe ich. Lasst Euch nur nicht einfallen, Eure Nase in meine Angelegenheiten zu stecken. Meine Tochter war da – ich weiß es, ich bin ihr nachgegangen! Ich rate keinem, mir in die Quere zu kommen! Da, seht her!« Damit trat er rasch auf den Kamin zu, nahm den Schürhaken und bog ihn mit seinen mächtigen braunen Händen vollständig krumm.
    »Seht nur zu, dass Ihr mir nicht unter die Finger kommt!«, schrie er meinem Freund noch zu, warf den verbogenen Schürhaken wieder in den Kamin und schritt hinaus.
    »Nun, das ist ja ein recht liebenswürdiger Kumpan«, meinte Holmes lachend. »Ich bin zwar nicht ganz so vierschrötig wie er, aber wenn er noch einen Augenblick dageblieben wäre, hätte ich ihm zeigen können, dass meine Finger an Kraft den seinen nicht viel nachgeben.« Dabei nahm er den stählernen Schürhaken und bog ihn mit einem Ruck wieder gerade.
    »Welche Unverschämtheit von dem Menschen, mich mit der Kriminalpolizei in einen Topf zu werfen! Dieser Zwischenfall verleiht übrigens unserem Vorhaben nur noch einen Reiz mehr. Ich will hoffen, dass unsere Schutzbefohlene, die dem Unhold ihre Spur verraten hat, diese Unvorsichtigkeit nicht zu büßen bekommt. Nun wollen wir uns das Frühstück kommen lassen, Watson, und dann will ich zur Gerichtsregistratur gehen, wo ich mir einige Daten zu verschaffen hoffe, die uns in der Sache von Nutzen sein dürften.«
    Es war ungefähr ein Uhr, als Holmes von seinem Ausgang zurückkam. Er hatte ein Blatt Papier in der Hand, das ganz mit Notizen und Zeichnungen bedeckt war.
    »Ich habe mir das Testament der Erblasserin zeigen lassen«, sagte er. »Um ihre Willensmeinung ganz genau festzustellen, musste ich den heutigen Wert der Anlagepapiere ausrechnen, um die es sich dabei handelt. Der Gesamtertrag, der zur Zeit ihres Todes fast elfhundert Pfund betrug, beläuft sich jetzt infolge des Rückgangs im Wert höchstens noch auf siebenhundertfünfzig Pfund. Nun kann jede der Töchter im Fall ihrer Verehelichung eine Rente von zweihundertfünfzig Pfund beanspruchen. Es ist also augenscheinlich, dass, falls beide Töchter sich verheiratet hätten, von der ganzen Herrlichkeit blutwenig übrig geblieben wäre, ja dass sogar schon die Abfindung einer der Töchter ihm eine ganz empfindliche Einbuße verursacht. Mein Vormittag war also wohlangewendet; habe ich doch jetzt den Beweis in Händen, dass ihm alles daran gelegen sein musste, die Heirat zu hindern; und nun, Watson, lass uns in dieser wichtigen Sache keine Zeit mehr verlieren, zumal der Alte Wind davon hat, dass wir uns mit seinen Angelegenheiten beschäftigen. Wenn Sie also bereit sind, wollen wir uns einen Wagen zur Waterloo Station bestellen. Bitte stecken Sie auch Ihren Revolver ein. Damit kommt man gegenüber Herrschaften, die stählerne Schürhaken krumm

Weitere Kostenlose Bücher