Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Million betragen, abgesehen von dem, was ihr noch für später in Aussicht steht. Da es ein öffentliches Geheimnis ist, dass sich der Herzog im Laufe der letzten Jahre genötigt sah, seine Gemälde zu verkaufen, und Lord St. Simon außer dem kleinen Gut Birchmoor keinen eigenen Grundbesitz hat, so liegt es auf der Hand, dass die kalifornische Erbin nicht allein die Gewinnende bei dieser Verbindung ist, durch welche eine einfache Republikanerin auf so bequeme und nicht ungewöhnliche Art zur Angehörigen des höchsten britischen Adels erhoben wird.‹«
»Sonst noch etwas?«, fragte Holmes gähnend.
»Oh freilich; die Hülle und Fülle. Es kommt dann noch eine Notiz in der ›Morning Post‹ des Inhalts, dass die Hochzeit in aller Stille und zwar in der St. George’s Church stattfinden, dass nur ein halbes Dutzend der nächsten Bekannten Einladungen erhalten und dass die Gesellschaft sich danach wieder zu dem von Mr Aloysius Doran gemieteten Haus in Lancastergate begeben werde. Zwei Tage darauf – also vorigen Mittwoch – kommt dann eine kurze Bemerkung, dass die Hochzeit stattgefunden habe und das junge Paar die Flitterwochen auf Lord Backwaters Besitzung bei Petersfield zu verbringen gedenke. Dies ist alles, was die Zeitungen vor dem Verschwinden der jungen Frau über die Sache gebracht haben.«
»Vor was?«, fragte Holmes, hoch aufhorchend.
»Vor dem Verschwinden der jungen Frau.«
»Wann verschwand sie denn?«
»Beim Hochzeitsmahl.«
»Wirklich? Nun, die Sache lässt sich ja weit interessanter an als es den Anschein hatte; das ist ja hochdramatisch.«
»Ja. Ich war ganz überrascht; ein Fall wie dieser kommt nicht gerade alle Tage vor.«
»Vor der Trauung verschwinden sie oft und viel, gelegentlich kommt es auch einmal während der Flitterwochen vor; aber einen Fall, wo es nach der Trauung mit dem Verschwinden so große Eile hatte, habe ich wirklich noch nicht erlebt. Bitte lassen Sie mich den genauen Bericht hören.«
»Ich will Ihnen nur gleich im Voraus sagen, dass er sehr unvollständig ist.«
»Nun, dem können wir ja vielleicht abhelfen.«
»Die Nachricht steht in einem der gestrigen Morgenblätter. Ich will Ihnen den Artikel vorlesen; er trägt die Überschrift ›Merkwürdiger Vorfall bei einer vornehmen Hochzeit‹ und lautet:
›Die Familie Lord Robert St. Simons ist durch die rätselhaften und bedauerlichen Vorfälle, die sich bei dessen Hochzeit zugetragen haben, in die größte Bestürzung versetzt worden. Die kirchliche Feier fand, wie gestern bereits kurz mitgeteilt wurde, am gestrigen Vormittag statt; allein es war erst jetzt möglich, den sonderbaren Gerüchten, die sich so hartnäckig an das Ereignis knüpften, auf den Grund zu kommen. Die Angelegenheit, welche die Näherstehenden vergeblich zu vertuschen suchten, hat die öffentliche Aufmerksamkeit in solchem Grad erregt, dass es keinen vernünftigen Zweck mehr haben könnte, Dinge totschweigen zu wollen, die in jedermanns Munde sind.
Die Feier in der St. George’s Church hielt sich im engsten Kreis. Es waren nur zugegen der Vater der Braut, Mr Aloysius Doran, die Herzogin von Balmoral, Lord Backwater, Lord Eustachius und Lady Clara St. Simon (die jüngeren Geschwister des Bräutigams) sowie Lady Alicia Whittington. Die ganze Gesellschaft begab sich darauf in Mr Aloysius Dorans Haus in Lancastergate, wo das Festmahl bereitstand. Eine Störung verursachte, wie es scheint, dabei eine weibliche Person, deren Name sich nicht hat feststellen lassen; sie versuchte unter dem Vorgeben, dass sie Ansprüche an Lord St. Simon habe, hinter der Gesellschaft gewaltsam in das Hans einzudringen und konnte nur nach einem längeren peinlichen Auftritt durch zwei Diener fortgebracht werden. Die Braut, welche das Haus glücklicherweise vor diesem unliebsamen Zwischenfall betreten hatte, saß mit der übrigen Gesellschaft zu Tisch, als sie plötzlich über Übelbefinden klagte und sich auf ihr Zimmer zurückzog. Als ihre längere Abwesenheit aufzufallen begann, ging der Vater ihr nach, erfuhr jedoch von dem Kammermädchen, seine Tochter sei nur einen Augenblick auf ihr Zimmer gekommen, habe einen Mantel umgeworfen, den Hut aufgesetzt und darauf eilends das Haus verlassen. Ein Lakai sagte aus, er habe allerdings eine Dame in dem eben beschriebenen Anzug das Haus verlassen sehen, ohne jedoch an die Möglichkeit zu denken, dass es seine Herrin sein könne, da er geglaubt habe, sie befinde sich bei der Gesellschaft. Sobald festgestellt war, dass die
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