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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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das Pflaster schlug; ich wollte dadurch herausfinden, ob sich der Keller nach vorn oder nach hinten erstreckte. Nach vorn war es nicht. Dann klingelte ich, und wie ich gehofft, erschien der Gehilfe. Obwohl sich unsere Wege schon einige Male gekreuzt, hatten wir einander doch noch nie gesehen. Ich blickte kaum auf sein Gesicht. Nur seine Knie interessierten mich. Sie sprachen deutlich von jenem stundenlangen Graben. Nun fragte es sich nur noch, wonach gegraben wurde. Ich ging um die Ecke, fand, dass die City- und Vorstadtbank an das Grundstück unseres Freundes stieß, und wusste, dass ich des Pudels Kern gefunden hatte. Als Sie nach dem Konzert heimfuhren, begab ich mich nach ScotlandYard und suchte dann die Direktoren der Bank auf – mit welchem Erfolg haben Sie gesehen.«
    »Wie konnten Sie voraussetzen, dass sie heute Nacht ihren Anschlag ausführen würden?«, fragte ich.
    »Nun, dass sie das Kontor ihres Bundes schlossen, bewies, dass sie Mr Wilsons Gegenwart nicht mehr fürchteten; mit anderen Worten: Ihr Tunnel war vollendet. Sie hatten allen Grund, denselben schnell zu benutzen, da er entdeckt oder der Schatz fortgeschafft werden konnte. Der Sonnabend musste ihnen günstiger sein als jeder andere Tag, weil er ihnen zwei Tage zur Flucht gewährte. Aus all diesen Gründen erwartete ich sie heute Nacht.«
    »Das haben Sie prachtvoll ausgetüftelt«, rief ich, voll aufrichtiger Bewunderung. »Die Kette ist lang, und doch schließt jedes Glied.«
    »Mich rettet dieser Zeitvertreib vor Langeweile«, erwiderte er gähnend. »Ach! Ich fühle schon, wie sie mich beschleicht. Mein Leben ist eine fortdauernde Anstrengung, mich dem Alltäglichen zu entziehen. Diese kleinen Probleme verhelfen mir dazu.«
    »Und Sie werden damit zum Wohltäter der Menschheit«, sagte ich.
    Er zuckte die Achseln. »Nun ja, vielleicht ist’s schließlich doch ein klein wenig nützlich«, bemerkte er. »›L’homme, ce n’est rien – l’œuvre c’est tout‹, wie Gustave Flaubert an George Sand schrieb.«

E IN F ALL GESCHICKTER T ÄUSCHUNG
    »Lieber Freund«, sagte Sherlock Holmes, als wir behaglich beisammen an seinem Kamin in der Baker Street saßen, »das Leben selbst bringt weit Merkwürdigeres hervor als alles, was der menschliche Geist zu erfinden vermag. Könnten wir jetzt Hand in Hand aus diesem Fenster fliegen und, über der Riesenstadt schwebend, die Dächer abheben, um zu beobachten, was sich in den Häusern zuträgt, wir würden staunen über all die Pläne, die seltsamen Vorfälle, die Verkettung von Umständen, die sich durch Generationen hinzieht und zu den wunderbarsten Ergebnissen führt. Jegliche Dichtung mit ihren althergebrachten Formen, ihrem leicht vorauszusehenden Ausgang müsste uns schal und wertlos erscheinen.«
    »Und doch bin ich hiervon nicht ganz überzeugt«, erwiderte ich. »Die Fälle, welche die Zeitungen bringen, sind meist trocken und alltäglich genug. In unseren Polizeiberichten ist der Realismus auf die Spitze getrieben, und doch ist der Eindruck, den sie machen – das lässt sich nicht leugnen – weder spannend noch künstlerisch.«
    »Um eine realistische Wirkung zu erzielen«, bemerkte Holmes, »bedarf es einer gewissen Auswahl und Umsicht; hieran gebricht es den polizeilichen Berichten, die vielleicht auf die seichte Darstellung des Beamten mehr Wert legen als auf die interessanten Nebenumstände, in denen der ernstere Beobachter die Beweggründe zu erblicken versteht, welche die Tat herbeiführten. Glauben Sie mir, nichts ist so außernatürlich wie das Alltägliche.«
    Ich lächelte ungläubig. »Mich wundert nicht, dass Sie so denken«, sagte ich, »weil Sie, als außerordentlicher Helfer und Berater aller Ratlosen in drei Weltteilen, nur mit Ungewöhnlichem und Seltsamem in Berührung kommen. Lassen Sie mich«, bat ich, die Zeitung vom Boden aufhebend, »meine Behauptung praktisch beweisen. Ich nehme die erste beste Notiz: ›Grausamkeit eines Gatten gegen seine Frau‹.
    Die Geschichte füllt eine halbe Druckspalte, und ich kann sie ungelesen erzählen. Unbedingt ist eine andere Frau im Spiel, im Übrigen entwickelt sich die Geschichte wie folgt: Trunkenheit, rohe Behandlung, Gewalttat, Verwundung, Erscheinen der hilfreichen Schwester oder Wirtin. Der gewöhnlichste Schriftsteller könnte nichts Gewöhnlicheres erfinden.«
    »Fehlgeschossen, Ihr Beispiel passt auf Ihre Behauptung wie die Faust aufs Auge«, meinte Holmes, das Blatt überfliegend. »Es handelt sich hier um die

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