Sherlock Holmes - gesammelte Werke
habe ich nicht gesagt«, erwiderte Holmes voll unerschütterlicher Ruhe. »Aber wir dürfen Ihre kostbare Zeit nicht allzu lange in Anspruch nehmen, Lord Holdhurst; erlauben Sie, dass wir uns empfehlen.«
»Ich wünsche Ihrer Untersuchung den besten Erfolg, mag der Verbrecher sein, wer er will«, sagte der Edelmann noch beim Abschied, während er uns bis zur Tür begleitete.
»Ein wackerer Herr«, meinte Holmes, als wir wieder auf der Straße standen; »aber es wird ihm nicht leicht, seine Stellung zu behaupten. Er ist nicht reich, und es werden viele Ansprüche an ihn gestellt. Sie haben wohl auch bemerkt, dass er neubesohlte Stiefel trägt. – Nun will ich Sie aber nicht länger von Ihrer eigenen Berufsarbeit abhalten, Watson. Heute unternehme ich sowieso nichts mehr, außer wenn ich Antwort auf meine Droschken-Anzeige erhalte. Einen großen Gefallen könnten Sie mir aber tun, wenn Sie mich morgen um dieselbe Zeit nach Woking begleiten wollten.«
So fuhren wir denn am nächsten Morgen wieder zusammen nach Woking. Es war keinerlei Licht in das Dunkel gekommen, und Holmes hatte keine Nachricht auf seine Anzeige. Seine Gesichtszüge konnten so unbeweglich sein wie die einer indianischen Rothaut, wenn es ihm gut dünkte; auch jetzt war ich außerstande, in seiner Miene zu lesen, ob ihn die Lage der Angelegenheit befriedigte oder nicht. Unsere Unterhaltung drehte sich, soviel ich mich erinnere, um Bertillons treffliches Messungssystem, und er rühmte das Verdienst dieses französischen Gelehrten in begeisterten Worten.
Wir fanden unsern Klienten noch in der Pflege seiner getreuen Wärterin; er sah jedoch weit besser aus als tags zuvor. Bei unserem Eintritt stand er vom Sofa auf und begrüßte uns lebhaft.
»Was bringen Sie mir?«, fragte er begierig.
»Nur Negatives, wie sich voraussehen ließ«, erwiderte Holmes. »Ich habe Forbes gesprochen, Ihren Onkel besucht und verschiedene Erkundigungen eingezogen, die zu etwas führen könnten.«
»Sie haben also nicht den Mut verloren?«
»Durchaus nicht.«
»Gottlob, dass Sie das sagen«, rief Miss Harrison. »Wenn wir nur Geduld behalten und die Hoffnung nicht aufgeben, muss die Wahrheit ja doch zuletzt an den Tag kommen.«
»Wir können Ihnen mehr mitteilen als Sie uns«, meinte Phelps, der wieder auf seinem Lager Platz genommen hatte.
»So – das ist mir lieb.«
»Ich habe heute Nacht ein Abenteuer erlebt, das recht schlimm hätte ausfallen können.« Seine Miene wurde sehr ernst, und in seinen Augen war förmliche Angst zu lesen. »Wissen Sie«, fuhr er fort, »ich fange wirklich an zu glauben, dass ich der Zielpunkt einer gefährlichen Verschwörung bin. Nicht genug, dass man mir die Ehre abgeschnitten hat, jetzt trachtet man mir auch nach dem Leben.«
»Wahrhaftig?!«, rief Holmes.
»Es klingt unglaublich; meines Wissens habe ich auf der Welt keinen Feind. Aber nach der Erfahrung der letzten Nacht muss ich das Gegenteil annehmen.«
»Oh bitte, erzählen Sie!«
»Das will ich, doch müssen Sie vor allem wissen, dass ich letzte Nacht zum ersten Mal keine Wärterin bei mir im Zimmer hatte. Ich fühlte mich so viel wohler, dass ich glaubte, sie nicht mehr zu brauchen; doch ließ ich mein Nachtlicht brennen. Gegen zwei Uhr morgens lag ich eben in leichtem Schlummer, als ein schwaches Geräusch mich weckte. Es klang, als ob eine Maus am Holzwerk nage. Eine Weile lag ich da und horchte, dann wurde der Ton lauter, und vom Fenster her kam ein scharfes, metallisches Klirren. Entsetzt fuhr ich empor. Was das Geräusch zu bedeuten hatte, war jetzt klar. Die schwächeren Töne rührten von einem Werkzeug her, das in den Schlitz zwischen die Fensterläden hineingepresst wurde, und dann hatte sich der Riegel in die Höhe geschoben.
Nun blieb etwa zehn Minuten alles still, als warte der Draußenstehende, ob der Lärm mich aufgeweckt habe. Dann vernahm ich ein leises Knarren, und das Fenster wurde vorsichtig geöffnet. Länger ertrug ich die Spannung nicht; meine Nerven sind noch nicht so stark wie früher. Ich sprang aus dem Bett und stieß den Laden auf. Ein Mann kauerte vor dem Fenster. Ich konnte nur wenig von ihm sehen, denn er floh davon wie der Blitz. Er war ganz in einen Mantel gewickelt, der den unteren Teil seines Gesichts verhüllte. Eins nur weiß ich mit Bestimmtheit, nämlich, dass er eine Waffe in der Hand trug; wahrscheinlich ein langes Messer, ich sah deutlich die funkelnde Klinge, als er sich zur Flucht wandte.«
»Das ist ja höchst interessant«,
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