Sherlock Holmes - gesammelte Werke
Grillen, Annie? Komm heraus in den Sonnenschein!«, rief ihr Bruder.
»Nein, danke, Josef. Ich habe etwas Kopfweh, und die Kühle und Ruhe hier im Zimmer sind mir eine Wohltat.«
»Was würden Sie jetzt vorschlagen, Mr Holmes?«, fragte unser Klient.
»Wir dürfen über diesem untergeordneten Fall die Hauptsache nicht aus den Augen lassen. Es wäre mir eine große Hilfe, wenn Sie mit uns nach London kommen könnten.«
»Sofort?«
»Ja, das heißt, so rasch es sich einrichten lässt. Etwa in einer Stunde.«
»Ich fühle mich stark genug dazu, wenn ich Ihnen wirklich nützen kann.«
»Ohne allen Zweifel.«
»Vielleicht möchten Sie, dass ich über Nacht dort bleibe?«
»Das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen.«
»Wenn dann mein Freund seinen nächtlichen Besuch wiederholen will, findet er den Vogel ausgeflogen. – Wir geben uns ganz in Ihre Hände, Mr Holmes. Sie brauchen nur zu sagen, was geschehen soll. Wünschen Sie vielleicht, dass Josef mitkommt, um für mich zu sorgen?«
»Oh nein; mein Freund Watson ist Arzt, wie Sie wissen, und wird sich Ihrer annehmen. Wenn es Ihnen recht ist, frühstücken wir erst hier und fahren dann alle drei zusammen nach der Stadt.«
Alles wurde eingerichtet, wie er es wollte. Miss Harrison erschien nicht bei der Mahlzeit. Sie durfte nach Holmes’ Anordnung das Zimmer nicht verlassen. Was der Zweck aller dieser Veranstaltungen war, begriff ich nicht; ich konnte mir nur denken, dass mein Freund die junge Dame von Phelps trennen wollte, der voll Freude über seine wiederkehrende Gesundheit und Tatkraft mit uns im Esszimmer frühstückte. Die größte Überraschung erwartete uns indessen noch, als Holmes mit auf den Bahnhof ging, uns beim Einsteigen in den Zug behilflich war und dann ruhig erklärte, er habe nicht die Absicht, Woking zu verlassen.
»Ehe ich fortgehe, muss ich erst noch über einige Kleinigkeiten ins Reine kommen«, sagte er. »In gewisser Hinsicht wird mir das durch Ihre Abwesenheit erleichtert, Mr Phelps. – Sie tun mir wohl den Gefallen, Watson, sobald Sie in London angekommen sind, mit unserem Freund nach der Baker Street zu fahren und bei ihm zu bleiben, bis ich zu Ihnen komme. Es trifft sich gut, dass Sie alte Schulkameraden sind und mancherlei Erinnerungen zu besprechen haben werden. Mr Phelps kann in Ihrem ehemaligen Zimmer schlafen, und morgen werde ich mich rechtzeitig zum Frühstück einstellen; um acht Uhr ist der Zug auf der Waterloo Station.«
»Aber was wird denn aus unserer Nachforschung in London?«, fragte Phelps betrübt.
»Die können wir morgen vornehmen. Ich glaube, dass ich im Augenblick hier von größerem Nutzen bin.«
»Sagen Sie bitte in Brierbrae, dass ich hoffe, morgen Abend wieder daheim zu sein«, rief Phelps, als sich der Zug schon in Bewegung setzte.
»Ich werde schwerlich in Brierbrae vorsprechen«, gab Holmes zurück und winkte uns noch ein Lebewohl zu, als wir zum Bahnhof hinausfuhren.
Wir besprachen diese neue Wendung der Dinge miteinander, Phelps und ich, kamen aber zu keinem befriedigenden Ergebnis.
»Er wird wohl dem nächtlichen Einbrecher nachspüren wollen«, meinte Phelps, »ich meinerseits glaube nicht, dass es ein gewöhnlicher Dieb war.«
»Wie denkst du dir denn den Zusammenhang?«
»Meiner Treu – schreib es meinen schwachen Nerven zu, wenn du willst, aber ich bin überzeugt, dass eine tief angelegte, politische Intrige am Werk ist und dass die Verschwörer mir, aus irgendeinem Grund, der über mein Verständnis geht, nach dem Leben trachten. Die Behauptung klingt anmaßend und abgeschmackt, aber betrachte einmal die Tatsachen: Weshalb sollte der Dieb versuchen, in ein Schlafzimmer einzusteigen, wo er auf keine Beute hoffen darf – und wozu trug er ein Dolchmesser in der Hand?«
»War es denn nicht etwa ein Stemmeisen, um damit einzubrechen?«
»Nein, nein – ich habe die Klinge blitzen sehen.«
»Wer sollte dich aber mit solcher Feindseligkeit verfolgen?«
»Ja, das ist mir ein Rätsel.«
»Möglich, dass Holmes deine Ansicht teilt; es würde sein Verfahren erklären. Wenn diese Annahme richtig ist und er des Menschen habhaft wird, der dich letzte Nacht bedrohte, so wäre damit schon ein großer Schritt geschehen, um ausfindig zu machen, wer den Marinevertrag gestohlen hat. Dass du zwei Feinde haben solltest, von denen dich der eine bestiehlt, während der andere dir nach dem Leben trachtet, lässt sich schwerlich annehmen.«
»Aber Mr Holmes versicherte ja, er ginge nicht nach
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