Sherlock Holmes - gesammelte Werke
seien, augenblicklich ein starker Pulvergeruch aufgefallen sei. »Auf diesen Punkt mache ich Sie ganz besonders aufmerksam«, sagte Holmes zu seinem Berufsgenossen Martin. »Und nun können wir uns, glaube ich, an die Untersuchung des Zimmers begeben.«
Das Arbeitszimmer des Mr Cubitt war nicht allzu groß; an drei Wänden standen Bücherregale, an einem gewöhnlichen Fenster stand ein Schreibtisch. Von hier aus konnte man den Hof und den Garten überschauen. Unsere erste Aufmerksamkeit galt der Leiche des unglücklichen Besitzers, dessen Körper ausgestreckt am Boden lag. Daraus, dass seine Kleidung nicht ganz geordnet war, konnte man entnehmen, dass er Eile gehabt hatte. Die Kugel war von vorne gekommen und, nachdem sie das Herz durchbohrt hatte, im Körper stecken geblieben. Der Tod musste augenblicklich und schmerzlos eingetreten sein. Weder sein Schlafrock noch seine Hände zeigten irgendwelche Pulverspuren. Nach Aussage des Arztes waren dagegen im Gesicht der Frau solche Flecken wahrnehmbar, an ihren Händen dagegen nicht.
»Das Fehlen dieser Flecken beweist nichts, wenn auch ihr Vorhandensein sehr vielsagend ist«, bemerkte Holmes. »Ich glaube, wir können Mr Cubitts Leiche wegtragen lassen. Die Kugel, welche die Frau getroffen hat, haben Sie wohl nicht gefunden, Herr Doktor?«
»Dazu ist eine schwierige Operation nötig. Aber im Revolver stecken noch vier Kugeln. Zwei Schüsse sind abgegeben, und zwei Verwundungen sind zu konstatieren; es muss also jede Kugel getroffen haben.«
»So könnte es scheinen«, sagte Holmes. »Aber welche Kugel hat denn den Fensterrahmen durchschlagen?«
Er drehte sich rasch um und zeigte mit seinen langen, dünnen Fingern auf ein Loch im unteren Fensterrahmen, ungefähr einen Zoll über dem Fensterbrett.
»Weiß Gott!«, rief der Inspektor. »Wie haben Sie das nur sehen können?«
»Weil ich danach gesucht habe.«
»Wunderbar!«, sagte der Arzt. »Sie haben sicher recht. Dann muss ein dritter Schuss gefallen und auch eine dritte Person zugegen gewesen sein. Aber wer mag dies gewesen, und wie mag sie hinausgekommen sein?«
»Diese Frage müssen wir uns zu beantworten suchen«, sagte Holmes. »Sie erinnern sich noch, Mr Martin, dass ich Ihnen den Umstand, dass die beiden Mädchen beim Verlassen ihrer Kammern sofort Pulvergeruch wahrgenommen haben, als außerordentlich wichtig bezeichnete?«
»Jawohl; aber ich muss offen gestehen, dass ich Ihnen nicht ganz zu folgen vermochte.«
»Im Augenblick, als die Schüsse fielen, hat wahrscheinlich sowohl die Tür wie das Fenster offengestanden. Wenn es nicht gezogen hätte, würde sich der Pulverdampf nicht so schnell durch das ganze Haus verbreitet haben. Aber Tür und Fenster sind bald wieder zugemacht worden.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Daraus, dass das Licht nicht ausgeblasen worden ist.«
»Großartig!«, rief der Inspektor. »Großartig!«
»Ich hatte die feste Überzeugung, dass das Fenster, während das Unheil passiert ist, offen war. Daraus schloss ich weiter, dass eine dritte Person ihre Hand im Spiel gehabt habe. Diese muss draußen gestanden und geschossen haben. Ein Schuss hinwieder auf diese Person konnte leicht den Fensterrahmen getroffen haben. Ich sah nach und fand denn auch das Loch.«
»Aber wer soll das Fenster zugemacht und von innen verriegelt haben?«
»Das hat sicher gleich die Frau getan. Aber hallo! Was seh ich hier?«
Auf dem Schreibtisch lag das Handtäschchen einer Dame, ein niedliches, kleines Täschchen aus Krokodilleder und mit Silber beschlagen. Holmes öffnete es und stülpte es um. Was kam zum Vorschein? – Ein Bündel von zwanzig Fünfzigpfundscheinen der Bank von England, die mit einem roten Bändchen zusammengebunden waren – weiter nichts.
»Das muss aufgehoben werden, denn es wird in der Verhandlung eine Rolle spielen«, sagte Holmes und händigte das Täschchen nebst Inhalt dem Polizeiinspektor ein. »Wir müssen uns zunächst nun mit dieser dritten Kugel etwas eingehender beschäftigen. Wie sich an den Splittern im Holz erkennen lässt, ist sie vom Zimmer aus gekommen. Ich möchte die Köchin gerne noch etwas fragen. – Sie sagten vorhin, Miss King, dass Sie durch einen lauten Knall geweckt worden seien. Wollten Sie mit diesem Beiwort sagen, dass Ihnen der erste Schuss lauter vorgekommen ist als der zweite?«
»Nun, ich erwachte gerade aus dem Schlaf und kann daher nicht allzu genau urteilen, mein Herr; er erschien mir allerdings sehr laut.«
»Glauben Sie nicht, dass
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