Sherlock Holmes - gesammelte Werke
vielleicht im selben Augenblick zwei Schüsse gefallen sind?«
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, Herr.«
»Ich glaube das ganz sicher. Im Übrigen, Mr Martin, bin ich der Meinung, dass wir hier in diesem Zimmer nichts mehr zu suchen haben. Wir wollen nun lieber einen Rundgang durch den Garten machen und sehen, was wir dort für neues Beweismaterial finden.«
Vor dem Fenster von Mr Cubitts Arbeitszimmer war ein Blumenbeet. Als wir in dessen Nähe kamen, sahen wir zu unserer größten Überraschung, dass die Blumen zusammengetreten waren. Der weiche Erdboden zeigte noch zahlreiche Spuren von großen Mannsfüßen mit auffallend langen, spitzen Schuhen. Holmes spürte wie ein Jagdhund, der ein verwundetes Stück Wild sucht, in dem Gras und den Blättern herum. Plötzlich stieß er einen Ruf der Befriedigung aus, bückte sich und hob eine kleine Metallhülse auf.
»Das dachte ich mir gleich«, sagte er, »der Revolver hat einen Auswerfer gehabt, das ist also die dritte Patrone. Ich glaube wahrhaftig, Mr Martin, unsere Untersuchung ist schon ziemlich beendigt.«
Der Inspektor war über die raschen Fortschritte, die seines Kollegen Nachforschungen machten, ganz erstaunt. Er war verwundert über die meisterhafte Leistung und folgte ihr, ohne selbst einzugreifen.
»Wen haben Sie in Verdacht?«, fragte er.
»Darauf werde ich erst später eingehen, ich muss Ihnen dann überhaupt noch Verschiedenes erklären. Vorläufig aber muss ich diesen Weg weiter verfolgen und ihnen dann alles auf einmal und im Zusammenhang auseinandersetzen.«
»Ganz wie Sie meinen, Mr Holmes. Wenn wir nur unseren Mann bekommen.«
»Ich bin sonst kein Freund von Geheimtuerei, aber jetzt in dem Augenblick, wo wir handeln müssen, fehlt mir die Zeit zu langen und schwierigen Erörterungen, ich habe jetzt alle Fäden in meiner Hand. Selbst wenn die Frau das Bewusstsein nie wiedererlangen sollte, können wir doch das Drama der vergangenen Nacht aufklären und die gerichtliche Bestrafung des Schuldigen herbeiführen. Zunächst möchte ich nun wissen, ob in der Nachbarschaft eine Örtlichkeit, ein Gutshof oder dergleichen, unter dem Namen ›Elriges‹ bekannt ist.«
Die Bediensteten wurden in ein Kreuzverhör genommen, aber keiner hatte von einer solchen gehört. Endlich fiel dem Stalljungen ein, dass ein Landwirt einige Meilen von hier nach East Ruston zu, ein Besitztum dieses Namens habe.
»Ist es abgelegen?«
»Ganz abgelegen, Herr.«
»Man wird also dort von dem hiesigen Unglück wahrscheinlich noch keine Nachricht haben?«
»Das kann sein.«
Holmes überlegte einige Sekunden, dann spielte ein zufriedenes Lächeln um seinen Mund.
»Sattle ein Pferd, mein Junge«, sagte er zu dem Burschen. »Du sollst einen Brief nach Elriges Hof bringen.«
Er nahm die verschiedenen Blätter mit den tanzenden Männchen aus der Tasche, breitete sie vor sich auf dem Schreibtisch aus und schrieb eine Zeitlang. Endlich übergab er dem Jungen ein Schreiben mit der Anweisung, es dem Adressaten persönlich auszuhändigen und auf keinerlei Fragen, die man etwa an ihn richten sollte, Aufschluss zu geben.
Ich bemerkte, dass die Adresse auf dem Umschlag nicht Holmes’ gewöhnliche feste Handschrift zeigte, sondern weitläufige, unzusammenhängende, ungleichmäßige Schriftzüge; sie lautete:
Mr Abe Slaney
Elriges Hof
East Ruston, Norfolk.
»Ich halte es für ratsam, sofort um Verstärkung zu telegrafieren, Herr Inspektor, denn wenn sich meine Berechnung als richtig erweist, werden Sie einen besonders gefährlichen Gefangenen zu transportieren haben. Der Junge, der den Brief besorgt, könnte gleich das Telegramm aufgeben. – Wenn nachmittags ein Zug nach London abgeht, wollen wir zurückfahren, Watson, ich habe nämlich eine interessante chemische Analyse fertig zu machen, und diese Untersuchung hier wird bald zum Abschluss kommen.«
Als der Junge mit dem Brief fort war, gab Holmes der Dienerschaft die nötigen Anweisungen. Wenn irgendjemand nach Mrs Cubitt fragen sollte, dürfte ihm nichts über ihr Befinden gesagt werden, sondern er müsse sofort ins Empfangszimmer geführt werden. Er schärfte ihnen das sehr ernstlich ein. Darauf ging er selbst mit uns ins Empfangszimmer und sagte uns, dass wir einstweilen in der Sache nichts mehr tun könnten. Wir sollten ruhig abwarten, wie sich die Angelegenheit weiter entwickeln würde, und uns unterdessen nach Belieben die Zeit vertreiben. Der Arzt ging auf seine Praxis, und nur der Inspektor und ich blieben
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