Sherlock Holmes - gesammelte Werke
verlassen und in Australien sein Glück versuchen soll.«
»Wenn das der Fall ist, würde ich Ihnen raten, da Sie ja selbst die Schuld an Ihrem ehelichen Unglück seiner Gegenwart zugeschrieben haben, soweit es möglich ist, der Herzogin entgegenzukommen und sie wieder in die früheren Rechte einzusetzen und die alten Beziehungen, die so unglücklich unterbrochen waren, wieder herzustellen.«
»Auch dies habe ich schon in die Wege geleitet, Mr Holmes. Ich habe heute Morgen bereits an die Herzogin geschrieben.«
»Dann können wir Ihnen, glaube ich, gratulieren. Wir können uns aber gleichzeitig auch selbst beglückwünschen, dass unsere kleine Reise nach Norden so schöne Erfolge gezeitigt hat. Über etwas möchte ich gerne noch Aufschluss haben. Dieser Hayes hatte seine Pferde mit Eisen beschlagen, die die Abdrücke von Rinderhufen gaben. Hat er diesen ausgezeichneten Kniff von Mr Wilder gelernt?«
Der Herzog besann sich einen Augenblick und machte ein ganz erstauntes Gesicht. Dann öffnete er eine Tür und führte uns in ein großes Zimmer, das wie ein Museum eingerichtet war. Er zeigte uns einen Glasschrank in einer Ecke und deutete auf einen beschriebenen Zettel, dessen Inhalt lautete:
»Diese Eisen wurden beim Umgraben in der Nähe von Holdernesse Hall gefunden. Sie sind für Pferde gemacht, haben auf der unteren Seite aber einen gespaltenen Eisenbeschlag, wie ihn Rinder tragen, um Verfolger in der Fährte zu täuschen. Sie haben wahrscheinlich einem der plündernden Raubritter des Mittelalters gute Dienste geleistet.«
Holmes machte die Glastür auf und strich mit dem feuchten Finger über die Eisen. Der Finger zeigte Spuren von frischem Schmutz.
»Ich danke Ihnen«, sagte er, als er den Vorhang wieder vorschob und die Glastür des Schrankes schloss. »Das ist der zweite, höchst interessante Gegenstand, den ich hier im Norden gesehen habe.«
»Und der erste?«
Holmes faltete als Antwort seinen Scheck zusammen und legte ihn sorgfältig in sein Notizbuch. »Ich bin kein reicher Mann«, sagte er, während er das Buch zärtlich in der Hand hielt und dann in der Tiefe seiner inneren Tasche verschwinden ließ.
D ER SCHWARZE P ETER
Ich habe meinen Freund Sherlock Holmes nie in einer besseren Verfassung des Körpers und Geistes gesehen als im Jahre 1895. Seine zunehmende Berühmtheit brachte ihm eine ungeheuere Kundschaft. Ich kann jedoch, ohne indiskret zu werden, die Persönlichkeiten aus den höchsten Kreisen, welche unser bescheidenes Heim in der Baker Street aufsuchten, nicht einmal andeutungsweise bezeichnen. Holmes lebte aber, wie alle großen Künstler, nur seiner Kunst, und, abgesehen vom Fall des Herzogs von Holdernesse, habe ich ihn selten eine größere Summe für seine unschätzbaren Dienste verlangen hören. Er war so wenig materiell veranlagt – oder vielmehr, er war so eigensinnig – dass er häufig Mächtigen und Reichen seinen Beistand versagte, wenn ihm ihre Fälle nicht passten, während er für die Angelegenheiten irgendeines armen Klienten oft wochenlang angestrengt arbeitete, wenn sie jene eigenen Umstände und Verwicklungen zeigten, die seine Einbildungskraft reizten und seinen Scharfsinn anspornten.
In diesem denkwürdigen Jahr 1895 hatten eine Menge der eigentümlichsten und absonderlichsten Fälle seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, von der berühmten Aufklärung des plötzlichen Todes des Kardinals Tosca – eine Untersuchung, die er auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes betrieben hatte – bis hinunter zu der Festnahme Wilsons, des bekannten Kanarienzüchters, wodurch aus dem Osten Londons ein wahrer Schandfleck beseitigt wurde. Auf diese beiden Fälle folgte die Tragödie von Woodmans Lee, jene dunkle Geschichte vom Tod des Kapitäns Peter Carey. Eine Niederschrift der Taten Sherlock Holmes’, die gerade diese ungewöhnliche und auffallende Begebenheit nicht enthielte, würde nicht vollständig sein.
Während der ersten Juliwoche war mein Freund so häufig und so lange von zu Hause weg gewesen, dass ich merkte, er müsse etwas Wichtiges vorhaben. Aus der Tatsache, dass in dieser Zeit mehrere handfeste Kerle ankamen und nach Kapitän Basil fragten, entnahm ich, dass Holmes irgendwo in einer seiner zahlreichen Verkleidungen und unter einem falschen Namen arbeitete. Er hatte nämlich in den verschiedenen Teilen Londons mindestens fünf kleine Schlupfwinkel, wo er sich umkleiden und seine gefürchtete Persönlichkeit verheimlichen konnte. Er hatte mir nichts von seinem
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