Sherlock Holmes - gesammelte Werke
auch wirklich den Eindruck einer Kajüte, denn man konnte sich recht gut auf ein Schiff versetzt fühlen. Sie war tatsächlich so ausgestattet wie ein Kapitänszimmer, an den Wänden standen Bänke und Koffer, hingen Land- und Seekarten und ein Bild der ›Sea Unicorn‹, und auf einem Wandbrett stand eine Reihe gebundener Schiffsjournale. Mitten zwischen all diesen Sachen hing an einer Wand der Kapitän selbst. Das Gesicht war furchtbar verzerrt und entstellt, und sein mächtiger struppiger Bart starrte steif in die Höhe. Durch seine breite Brust war eine eiserne Harpune gejagt und steckte noch tief in der Wand. Er war aufgespießt wie ein Käfer auf einem Karton. Selbstverständlich war er vollkommen tot, und war es schon von dem Augenblick an gewesen, wo er jenen gellenden Schrei ausgestoßen hatte.
Ich kenne Ihre Methoden, Mr Holmes, und brachte sie zur Anwendung. Ehe ich irgendetwas anrühren ließ, untersuchte ich sehr sorgfältig den Boden draußen und im Zimmer, fand aber keine Fußspuren.«
»Das heißt, Sie sahen keine?«
»Ich versichere Ihnen, es waren keine da.«
»Mein lieber Hopkins, ich habe schon manches Verbrechen untersucht, aber noch nie gefunden, dass eins von einem fliegenden Wesen verübt worden ist. So lange die Verbrecher sich noch auf zwei Beinen bewegen, müssen sie auch irgendwelche Abdrücke, Kritze, kleine Abschabungen oder sonstige winzige Spuren hinterlassen, die ein erfahrener, scharfer Beobachter entdecken kann. Ich kann nicht glauben, dass dieser blutbefleckte Raum keinerlei Fährte aufweisen soll, die uns weiterhelfen könnte. Wenn ich den Untersuchungsbericht verstanden habe, haben Sie freilich verschiedene Sachen übersehen.«
Der junge Inspektor suchte den ironischen Ausführungen meines Freundes auszuweichen.
»Es war allerdings töricht von mir, Sie nicht gleich zuzuziehen, Mr Holmes. Das lässt sich jetzt aber nicht mehr ändern. Jawohl, es war noch manches im Zimmer, was eine spezielle Beachtung erfordert hätte. Erstens die Harpune, womit der tödliche Stoß ausgeführt worden ist. Sie ist von der Wand heruntergerissen worden. Zwei andere hingen noch dran, und für die dritte war die leere Stelle zu sehen. Der Schaft trug die eingebrannte Aufschrift: ›Sea Unicorn, Dundee‹. Daraus war zu entnehmen, dass der Mörder in der Wut gehandelt und die erste beste Waffe ergriffen hatte, die ihm in die Hand gekommen war. Der Umstand, dass das Verbrechen um zwei Uhr nachts begangen worden ist und Peter Carey noch vollständig angezogen war, ließ darauf schließen, dass der Mörder zu Besuch bei ihm gewesen ist, was auch mit Bestimmtheit daraus hervorgeht, dass eine Flasche mit Rum und zwei gebrauchte Gläser auf dem Tisch standen.«
»Gewiss«, sagte Holmes. »Ich halte beide Folgerungen für zulässig. Waren außer dem Rum noch andere Spirituosen im Zimmer?«
»Jawohl; auf einem Schiffskoffer stand ein Krug mit Kornbranntwein und Whisky. Dies kommt aber für uns nicht weiter in Betracht, weil er noch voll und nicht gebraucht war.«
»Immerhin ist es nicht ohne Bedeutung«, bemerkte Holmes. »Erzählen Sie aber nur erst weiter von solchen Dingen, die Ihnen für die Untersuchung des Falles von größerer Wichtigkeit zu sein scheinen.«
»Auf dem Tisch lag dieser Tabaksbeutel.«
»An welcher Stelle?«
»In der Mitte. Er war von grobem Seehundsfell und wurde mit einem Lederriemen zugebunden. Innen stand P. C., und es war ungefähr eine halbe Unze starker Schiffstabak drin.«
»Ausgezeichnet! Wissen Sie noch mehr?«
Stanley zog ein schmutziggraues Notizbuch aus der Tasche. Der Einband war sehr abgenützt und das Papier vergilbt. Auf der ersten Seite standen die Anfangsbuchstaben J. H. N. und die Jahreszahl 1883. Holmes nahm es in die Hand und prüfte es in seiner Weise, während ihm Hopkins und ich über die Schultern guckten. Auf der zweiten Seite stand gedruckt: C. P. R., und dann folgten mehrere Blätter mit Zahlen. Es kamen noch Überschriften wie Argentinien, Costa Rica, Sao Paulo, und unter jeder derselben befanden sich Schriftzeichen und Ziffern.
»Was fangen Sie damit an?«, fragte Holmes.
»Es scheinen Listen von Börsenpapieren zu sein. Ich dachte mir, das J. H. N. seien die Anfangsbuchstaben des Namens eines Maklers, und das C. P. R. diejenigen des Kunden.«
»Versuchen Sie’s mal mit Canadian Pacific Railway (Kanadische Pazifik-Bahn).«
Hopkins fluchte leise und schlug sich aufs Bein.
»Was für ein Tor bin ich gewesen!«, rief er. »Natürlich
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