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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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kaum umhin, vor ihm niederzuknien und ihm meine Tat zu gestehen. Dadurch hätte ich aber auch das Vergangene beichten müssen. Ich lief zu Ihnen an jenem Morgen, um die ganze Größe meiner Sünde zu erfahren. Von dem Moment an, wo ich sie begriffen hatte, hatte ich nur noch den einen Gedanken, das Schriftstück wieder in meine Hände zu bekommen. Es musste noch dort liegen, wo es Lucas versteckt hatte, ehe das furchtbare Weib eintrat. Wenn sie nicht dazwischen gekommen wäre, würde ich nie seinen Aufbewahrungsort gekannt haben. Wie sollte ich aber hineinkommen? Zwei Tage lang hatte ich aufgepasst, doch die Tür war stets verschlossen. Gestern Abend machte ich einen letzten Versuch. Wie ich’s anfing und wie mir’s gelang, haben Sie bereits gehört. Ich brachte das Schreiben zurück. Ich wollte es vernichten, weil ich keinen Weg sah, es zurückzugeben, ohne meinem Mann meine Schuld zu gestehen. Himmel, ich höre seine Schritte auf der Treppe!«
    Der Staatssekretär stürzte ins Zimmer.
    »Nichts Neues, Mr Holmes, nichts gefunden?«, rief er meinem Freund entgegen.
    »Ich habe Hoffnung.«
    »Ah, Gott sei Dank!« Er strahlte vor Freude. »Der Premierminister wird bei mir speisen. Kann ich ihm die freudige Nachricht mitteilen? Er hat eiserne Nerven, aber ich weiß, dass er seit dem schrecklichen Vorfall kaum eine Stunde Schlaf gefunden hat. Jacobs, bitte den Premierminister heraufzukommen. Du, meine Liebe, kannst einstweilen ins Speisezimmer gehen. Es wird auf die Politik die Rede kommen. Wir werden dich in ein paar Minuten dort treffen.«
    Der Premier beherrschte sich, aber am Glanz seiner Augen und am Zucken seiner mageren Hände konnte ich erkennen, dass er die Aufregung seines jüngeren Kollegen teilte.
    »Ich vermute, Sie haben uns etwas zu berichten, Mr Holmes?«
    »Bis jetzt nur Negatives«, antwortete mein Freund. »Ich habe überall nachgeforscht, wo der Brief sein könnte, und ich glaube sicher, dass keine Gefahr zu befürchten ist.«
    »Das genügt aber nicht, Mr Holmes. Wir können nicht ewig in dieser Ungewissheit leben. Wir müssen etwas Bestimmtes wissen.«
    »Ich hoffe das herauszubekommen. Deshalb bin ich hier. Je mehr ich über die Sache nachdenke, umso mehr gewinne ich die Überzeugung, dass der Brief nie aus diesem Haus hinausgekommen ist.«
    »Mr Holmes!«
    »Wenn es der Fall wäre, würde es nunmehr bekannt sein.«
    »Aber warum sollte ihn jemand nehmen, um ihn hier im Haus zu behalten?«
    »Ich bin überhaupt nicht der Ansicht, dass ihn jemand genommen hat.«
    »Wie könnte er dann aber aus dem Kasten verschwunden sein?«
    »Ich glaube gar nicht, dass er je daraus verschwunden ist.«
    »Mr Holmes, Ihr Scherzen ist wahrhaftig nicht am Platz. Ich versichere Ihnen, dass er fort ist.«
    »Haben Sie das Kästchen seit Dienstagmorgen wieder nachgesehen?«
    »Nein; das war nicht nötig.«
    »Sie könnten ihn doch übersehen haben.«
    »Das ist unmöglich, sag ich Ihnen.«
    »Aber ich bin doch nicht überzeugt davon; ich weiß, dass Derartiges schon vorgekommen ist. Ich vermute, dass noch andere Briefschaften drin sind. Er kann möglicherweise dazwischen geraten sein.«
    »Er lag oben drauf.«
    »Vielleicht hat jemand daran geschüttelt und die Sachen durcheinandergebracht.«
    »Nein, nein; ich hatte alles ausgepackt.«
    »Es lässt sich ja leicht feststellen«, fiel der Premier ein. »Lassen Sie doch den Kasten hereinbringen.«
    Der Staatssekretär klingelte.
    »Jacobs, bring’ meinen Kasten mit den Briefschaften herunter. Es ist ein überflüssiger Zeitverlust, da Sie sich jedoch sonst nicht überzeugen lassen wollen, soll’s geschehen. Danke, stell’ ihn hierher, Jacobs. Ich habe den Schlüssel stets an der Uhrlette gehabt, hier sind die Briefschaften, sehen Sie. Brief von Lord Merrow, Bericht von Charles Hardy, Note aus Belgrad, Note über den russisch-deutschen Getreidezollvertrag, Brief von Madrid, Schreiben von Lord Flowers – heiliger Herr! Was ist das? Lord Bellinger! Lord Bellinger!«
    Der Premier riss ihm das blaue Kuvert aus der Hand.
    »Ja, er ist’s – und vollkommen unversehrt. Mr Hope, ich gratuliere Ihnen.«
    »Danke Ihnen! Danke! Was für ein Stein ist mir vom Herzen. Aber es ist unbegreiflich – unmöglich! Mr Holmes, Sie sind ein Hexenmeister, ein Zauberer! Woher wussten Sie, dass er drin war?«
    »Weil er sonst nirgends war.«
    »Ich kann meinen Augen nicht trauen!« Er rannte wie besessen zur Tür hinaus. »Wo ist meine Frau? Ich muss ihr sagen, dass wieder alles gut ist.

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