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Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Sherlock Holmes - gesammelte Werke

Titel: Sherlock Holmes - gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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sie. Gegenwärtig soll er sieben Prozesse schweben haben, die wahrscheinlich den Rest seines Vermögens verschlingen werden; dann wird ihm der Stachel genommen und er in Zukunft ein harmloser alter Herr sein. Abgesehen von seiner Prozesssucht macht er den Eindruck eines freundlichen und gutmütigen Menschen, und ich erwähne ihn nur, weil Sie mir besonders einschärften, ich sollte die Personen unserer Umgebung genauer beschreiben.
    Gegenwärtig hat er eine sonderbare Beschäftigung: Er ist Amateur-Sterngucker und besitzt in dieser Eigenschaft ein ausgezeichnetes Fernrohr. Mit diesem liegt er nun den ganzen Tag auf dem Dach seines Hauses und sieht auf das Moor hinaus in der Hoffnung, den entsprungenen Zuchthäusler zu entdecken. Wollte er seine Tatkraft hierauf beschränken, wäre alles schön und gut, aber wie das Gerücht wissen will, beabsichtigt er dem Dr. Mortimer wegen seiner Ausgrabung des vorgeschichtlichen Schädels in Long Down einen Prozess anzuhängen, weil er ohne Einwilligung des nächsten Anverwandten ein Grab geöffnet habe! Mr Frankland bringt ein bisschen Abwechselung in unser gar zu eintöniges Leben hier und sorgt für etwas Komik, die wir hier wirklich recht nötig haben.
    Und nun, nachdem ich Ihnen über den entsprungenen Sträfling, über die Stapletons, Dr. Mortimer und Mr Frankland von Laster Hall alles mir Bekannte mitgeteilt habe, will ich mich zum Schluss dem wichtigsten Teil meines Berichtes zuwenden und Ihnen einiges Neue über die Barrymores melden, besonders eine überraschende Wendung, die die vorige Nacht gebracht hat.
    Zunächst noch einiges über das Telegramm, das Sie von London aus sandten, um Gewissheit zu erlangen, ob Barrymore in Wirklichkeit hier anwesend wäre oder nicht. Wie ich bereits auseinandersetzte, geht aus dem Zeugnis des Postmeisters von Grimpen hervor, dass in keiner Weise ein gültiger Beweis für den einen oder für den anderen Fall erbracht worden ist. Ich sagte Sir Henry, wie die Sache stände, und in seiner geraden offenen Art ließ er sofort Barrymore rufen und fragte ihn, ob er das Telegramm selber in Empfang genommen hätte. Der Kammerdiener bejahte die Frage.
    »Lieferte der Junge es zu Ihren eigenen Händen ab?«, fragte der Baronet weiter.
    Barrymore machte ein überraschtes Gesicht, dachte eine kleine Weile nach und sagte dann:
    »Nein; ich war in dem Augenblick gerade auf dem Boden und meine Frau brachte es mir herauf.«
    »Beantworteten Sie es selber?«
    »Nein, ich sagte meiner Frau, was zu antworten sei, und sie ging hinunter, um es aufzuschreiben.«
    Am Abend kam Barrymore von selber auf den Gegenstand zurück, indem er sagte:
    »Ich konnte nicht recht verstehen, welche Absicht Ihre Fragen von heute früh verfolgten, Sir Henry. Es war damit doch gewiss nicht bezweckt, mir eine Täuschung Ihres Vertrauens zur Last zu legen?«
    Sir Henry musste ihm versichern, dies sei nicht der Fall, und gab ihm schließlich, um ihn nur wieder zu beruhigen, einen beträchtlichen Teil seiner alten Sachen; die in London bestellte neue Ausrüstung ist nämlich jetzt eingetroffen.
    Mrs Barrymore interessiert mich. Sie ist eine derbe, grobschlächtige Person, sehr beschränkt, durch und durch ehrenwert und mit einer Neigung zum Puritanischen. Rührselig ist sie sicherlich nicht im Geringsten. Und doch hörte ich sie in der ersten Nacht meines Hierseins schluchzen, wie ich Ihnen bereits schrieb, und seitdem habe ich mehr als einmal auf ihrem Gesicht die Spuren von Tränen bemerkt. Irgendein tiefer Kummer nagt ihr am Herzen. Manchmal frage ich mich, ob vielleicht ein schuldbeladenes Gewissen sie quält, manchmal habe ich Barrymore im Verdacht, ein Haustyrann zu sein. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass sein Charakter seltsam und fragwürdig sei, aber mein Erlebnis von voriger Nacht gibt meinem Verdacht eine bestimmte Richtung – obgleich es Ihnen vielleicht an und für sich unbedeutend vorkommen wird.
    Wie Sie wissen, habe ich keinen sehr festen Schlaf, und seitdem ich hier auf meinem Beobachtungsposten bin, ist mein Schlummer leiser denn je. Heute Nacht – es war gegen zwei Uhr morgens – weckte mich das Geräusch verstohlener Schritte auf dem Korridor. Ich stand auf, öffnete meine Tür und lugte hinaus. Ein langer schwarzer Schatten schwebte den Gang entlang. Es war ein Mann, der mit einer Kerze in der Hand behutsam den Korridor hinunterging. Er war in Hemd und Hosen und barfüßig; ich konnte nur die Umrisse seiner Gestalt sehen, merkte aber an der Größe,

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