Sherlock Holmes - Im Zeichen der Vier
Helfer!« wiederholte Holmes nachdenklich.
»Über diesen Helfer gibt es interessante Besonderheiten, die diesen Fall aus den Niederungen des Alltäglichen erheben. Ich glaube, dieser Helfer wird in den Jahrbüchern des Verbrechens
in diesem Land etwas Neues bedeuten — obwohl es an Parallelfällen in Indien und, wenn ich mich recht erinnere, Senegambia nicht mangelt.«
»Wie kam er denn herein?« wiederholte ich. »Die Tür ist verschlossen. Das Fenster ist unzugänglich.
Kam er durch den Schornstein?«
»Der ist viel zu eng«, antwortete er. »Ich hatte diese Möglichkeit schon erwogen.«
»Wie dann?« ließ ich nicht locker.
»Sie wollen meine Regel nicht anwenden«, sagte er und schüttelte sein Haupt. »Wie oft habe ich Ihnen gesagt, daß das, was übrigbleibt, wenn Sie das Unmögliche ausgeschieden haben, und mag's auch noch so unwahrscheinlich sein, die Wahrheit sein muß? Wir wissen, daß er weder durch die Tür, noch durch das Fenster oder durch den Schornstein kam. Wir wissen auch, daß er sich nicht im Zimmer verstecken konnte, weil es da kein mögliches Versteck gibt. Wie also kam er?«
»Er kam vom Dach durch das Loch in der Decke!« rief ich.
»Natürlich. Er kann nur auf diese Weise hereingekommen sein. Wenn Sie so freundlich sein wollen, mir die Lampe zu halten, werden wir jetzt unsere Nachforschungen auf den Raum oben ausdehnen, in dem man den Schatz fand.«
Er stieg die Trittleiter hinauf, griff mit jeder Hand nach einem Dachsparren und schwang sich hinauf in die Bodenkammer. Dann legte er sich flach auf den Boden, mit dem Gesicht nach unten, und übernahm dann von mir die Lampe und hielt sie, während ich ihm folgte.
Die Kammer, in der wir uns befanden, war etwa drei Meter lang und nicht ganz zwei Meter breit. Der Boden wurde durch die Balken gebildet, die den Dachstuhl trugen, und dazwischen gab es nur dünne Latten und Mörtel, so daß man von Balken zu Balken treten mußte, wenn man sich dort oben bewegen wollte. Die Decke lief spitz zu und war offenbar die Innenseite des richtigen Hausdaches. Es waren keinerlei Möbel irgendwelcher Art vorhanden, nur der Staub, der sich in Jahren hier angesammelt hatte, lag dick auf dem Fußboden.»Bitte sehr! Da haben wir's!« rief Sherlock Holmes und preßte seine Hand gegen die schräge Wand. »Dies ist eine Falltür, die aufs Dach hinausführt. Ich kann sie bewegen, wenn ich dagegen presse. So kommt man also hinaus, und das Dach ist mäßig steil. Dies ist also der Weg, auf dem Nummer eins hereinkam. Wollen mal nachsehen, ob wir noch andere Spuren seiner Persönlichkeit finden.«
Er richtete die Lampe auf den Fußboden, und als er dies tat, sah ich zum zweitenmal in dieser Nacht einen erschreckten, überraschten Ausdruck in seinem Gesicht. Was mich betrifft, mir lief eine Gänsehaut über den Rücken, als ich seinem Blick folgte. Der Fußboden war dicht besät mit den Abdrücken eines nackten Fußes — er war klar umrissen und gut abgezeichnet, vollendet in seiner Form, aber dieser Fuß war kaum halb so groß wie der eines normalen Mannes.
»Holmes«, flüsterte ich, »ein Kind hat diese furchtbare Tat begangen.«
Er hatte sich in einem Augenblick wieder gefaßt.
»Ich war einen Moment verblüfft«, sagte er, »aber das geht ganz mit rechten Dingen zu. Mein Gedächtnis ließ mich im Stich, sonst hätte ich das eigentlich schon voraussehen können. Mehr ist aber hier nicht zu erfahren. Gehen wir wieder hinunter.«
»Was ist dann also Ihre Theorie betreffs dieser Fußspuren?« fragte ich gespannt, als wir in dem darunter liegenden Zimmer wieder angelangt waren.
»Mein lieber Watson, versuchen Sie selbst einmal, ein wenig analytisch vorzugehen«, sagte er mit einer Spur Ungeduld. »Sie kennen meine Methode. Wenden Sie sie an, und es wird bestimmt interessant sein, die Ergebnisse zu vergleichen.«
»Ich kann mir nichts vorstellen, was sich mit den Fakten deckt«, antwortete ich.
»Bald wird es Ihnen klar genug sein«, sagte er, kurz angebunden. »Ich denke, hier ist sonst nichts von Bedeutung, aber ich will doch noch einmal nachsehen.«
Schon holte er sein Vergrößerungsglas und ein Maßband heraus und suchte auf den Knien eilig den Raum ab, maß, verglich
und prüfte, wobei er mit seiner langen Nase fast auf die Dielenbretter stieß. So schnell und lautlos bewegte er sich durch das Zimmer wie ein abgerichteter Bluthund, der eine Fährte aufnimmt, daß mir unwillkürlich der Gedanke kam, er hätte sich ebenso einen großen und
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