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Sherlock Holmes in Dresden

Sherlock Holmes in Dresden

Titel: Sherlock Holmes in Dresden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schüler
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Miene noch gab er uns gegenüber irgendwelche Erklärungen ab.
    Nach einer halben Ewigkeit ertönte von drinnen eine Stimme im militärischen Ton: »Herein!«
    Unser Begleiter riss die Tür auf und stieß uns unsanft in das Zimmer. Dann salutierte er zackig und machte Meldung: »Die beiden Gefangenen wie befohlen zur Stelle, Herr Erster Kriminalkommissar!«
    Hinter einem Schreibtisch aus blank poliertem Nussbaumholz saß ein kleiner, dicker Mann in einem ledernen Drehsessel. Baron von Tesching-Brodwin war Ende vierzig, Anfang fünfzig. Sein kugelrunder Kopf wurde von einem tiefen Schmiss auf der linken Wange verunstaltet. Den kläglichen Rest seines Haupthaars hatte er quer über die Glatze gekämmt und mit glänzender Pomade festgepappt. Unter seiner violett geäderten Nase klebte ein schmaler Schnurrbart von der Größe einer Raupe. Er trug einen steifen, blauen Uniformrock mit blitzenden Messingknöpfen, die bis hinauf zum rot abgesetzten Stehbund korrekt geschlossen waren. Von seiner gesamten Erscheinung her war er mir auf den ersten Blick unsympathisch. In allen Einzelheiten entsprach er dem typischen Erscheinungsbild eines preußischen Beamten. Allerdings befanden wir uns in Sachsen. Offensichtlich gedieh eine bestimmte Spezies auf jedem Mistbeet.
    »Wegtreten, Schulze!«, befahl der Baron und wedelte mit der rechten Hand, auf deren Rücken vier schmale, rote Striemen parallel zueinander verliefen.
    Uns beiden schenkte der Erste Kriminalkommissar keinerlei Beachtung. Wir waren wie Luft für ihn. Er richtete weder ein Wort an uns noch bot uns einen Platz an, von einem Glas Wasser oder einer Tasse Kaffee ganz zu schweigen. Stattdessen vertiefte er sich in einen dünnen Aktenordner, der einsam und verlassen vor ihm auf der Tischplatte lag. Bis auf einen modernen Telefonapparat war die übrige Schreibfläche völlig leer. Ab und zu räusperte sich der Baron oder machte mit einem Bleistift eine Randnotiz. Die Seiten blätterte er um, indem er die Spitze von seinem linken Zeigefinger anleckte.
    Wir schauten uns in aller Ruhe im Raum um. Wir hatten genügend Zeit dazu und nichts Besseres zu tun. Links und rechts standen an den Seiten ganze Batterien von hellbraunen Rollschränken. Sie waren allesamt verschlossen. Besucherstühle gab es nicht. Die einzige Zierde in diesem tristen Raum waren eine kastenförmige Wanduhr mit geschnitzten Jagdmotiven sowie ein allegorisches Ölgemälde im Goldrahmen. Es zeigte einen hohen Militär zu Pferde vor einem Kiefernwäldchen. Er drohte einem unsichtbaren Feind mit dem Säbel, währenddessen zwei Cherubim aus den Wolken herab mit dem Siegerkranz angeflogen kamen.
    Das Papier raschelte, eine Fliege summte, das Chronometer tickte. Die Sonne schien zum Fenster herein und brachte herumfliegende Flusen zum Leuchten. Im Nachbarzimmer knarrten die Dielen. Auf der Straße rollten eisenbeschlagene Räder vorbei. Mein linkes Knie begann vom langen Stehen zu schmerzen. Von irgendwoher erklang das perlende Lachen einer Frau.
    In diesem Moment ging die Bombe hoch. Holmes schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, dass es nur so knallte, und schrie: »Jetzt habe ich genug von diesen Faxen!«
    Dem Baron ging es wie mir: Er bekam einen mordsmäßigen Schreck. Der Mann zuckte zusammen und warf sich instinktiv in seinem Rollsessel nach hinten. Dieser wiederum sauste durch den plötzlichen Schwung mitsamt seinem Inhalt davon und wurde erst von der Wand gestoppt. Der Kopf des Kommissars setzte (entsprechend dem Newton´schen Gesetz von der Trägheit der Masse) seine Bewegung noch ein kleines Stück fort und knallte dann oberhalb der Rückenlehne gegen den gusseisernen Fenstergriff. Das Geräusch klang sehr hohl, so als ob eine Hausfrau die Qualität einer Wassermelone prüfen würde.
    Ich konnte überhaupt nichts machen, außer vor Erstaunen meinen Mund zu öffnen und die Augen weit aufzureißen. Die Dinge begannen komplett aus dem Ruder zu laufen. Die Zukunft war eine schwarze Wand. Ich sah es ganz deutlich vor meinem geistigen Auge: Im nächsten Moment würde der Fettwanst seinen Revolver aus der Tasche ziehen und uns beide erschießen. Und er hätte recht daran getan. So etwas nannte sich Notwehr. Ich würde jenseits der Friedhofsmauer begraben werden, und meine entehrte Gattin müsste zu ihrem Oheim Raymond Spencer nach High Wycombe ziehen, wo sie als
Persona non grata
das Haus nur noch schwarz verschleiert zum sonntäglichen Kirchgang verlassen durfte.
    Doch der Kommissar war auf diesen

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