Sherlock Holmes - Sein letzter Fall und andere Geschichten
Herzen gern.«
»Könntest du wohl morgen mit mir nach Aldershot kommen?«
»O ja; Jackson wird gewiß meine Praxis übernehmen.«
»Dann wollen wir mit dem Zug 11:10 von der Station Waterloo abfahren.«
»Das läßt sich einrichten.«
»Wenn du nicht müde bist, möchte ich dir gleich jetzt alles berichten, was geschehen ist und was noch zu tun übrig bleibt.«
»Ehe du kamst, war ich sehr schläfrig, aber ich bin wieder ganz munter geworden.«
»Ich will mich so kurz wie möglich fassen und dir nur das Wesentlichste erzählen. Vielleicht hast du auch schon etwas über den Fall gelesen. Es handelt sich um den Tod des Obersten Barclay vom 117. Regiment in Aldershot – er soll ermordet worden sein.«
»Davon habe ich nichts gehört.«
»Das Ereignis ist erst zwei Tage alt und hat sich noch nicht in weitere Kreise verbreitet; es verhält sich damit folgendermaßen:
Die 117er sind, wie du weißt, eins der berühmtesten irischen Regimenter, das sowohl im Krimkrieg wie beim indischen Aufstand Wunder der Tapferkeit vollbracht und sich auch seither bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet hat. Bis letzten Montag wurde es von James Barclay, einem wackeren alten Krieger, befehligt. Ursprünglich als Gemeiner eingetreten, war er wegen seines im indischen Aufstand bewiesenen Mutes zum Offizier befördert worden und stand zuletzt an der Spitze des nämlichen Regiments, in dem er einst die Muskete getragen.
Oberst Barclay hatte als Unteroffizier geheiratet. Der Mädchenname seiner Frau war Nancy Devoy; ihr Vater war früher Feldwebel im selben Korps gewesen. Natürlich konnte es nicht ohne einige kleine Reibereien abgehen, als die jungen Eheleute (denn sie waren beide noch jung) nach Barclays Rangerhöhung ihre neue gesellschaftliche Stellung einnahmen. Doch scheinen sich beide rasch in die veränderten Verhältnisse gefunden zu haben, und Frau Oberst Barclay soll bei den Damen des Regiments ebenso beliebt gewesen sein, wie ihr Gatte unter seinen Kameraden. Ich will noch erwähnen, daß sie eine sehr schöne Frau war, noch jetzt, nach einer mehr als dreißigjährigen Ehe, ist sie eine ganz auffallende Erscheinung.
Oberst Barclays häusliches Leben scheint durchaus glücklich gewesen zu sein; Major Murphy, dem ich die Kenntnis der meisten Tatsachen verdanke, sagt mir, es sei nie etwas von Mißhelligkeiten zwischen den Gatten verlautet; doch glaubt man im allgemeinen, daß die größere Liebe auf Barclays Seite war. Er konnte seine Unruhe kaum bezähmen, wenn er auch nur einen Tag lang von seiner Frau fern sein mußte. Sie dagegen, obgleich ihm treu und ergeben, trug ihre Zärtlichkeit weit weniger zur Schau. Doch galten sie im ganzen Regiment für das Muster eines Ehepaares, und in ihren Beziehungen zu einander lag nichts, was die Welt auf das Trauerspiel vorbereiten konnte, welches sich zugetragen hat.
Oberst Barclay muß einige sonderbare Charaktereigenschaften gehabt haben. Für gewöhnlich war er ein lustiger, flotter alter Soldat, aber bei gewissen Gelegenheiten hatte er schon Beweise großer Rachsucht und maßloser Heftigkeit gegeben. Doch zeigte er sich im Verkehr mit seiner Frau niemals von dieser Seite. Nicht nur dem Major, sondern auch den andern Offizieren, mit denen ich Rücksprache nahm, war überdies die seltsame Niedergeschlagenheit aufgefallen, welche sich seiner zuweilen bemächtigte Oft, wenn er an dem fröhlichen Geplauder der Kameraden teilnahm, verstummte er plötzlich mitten im Scherz und Lachen, als hätte eine unsichtbare Hand ihn berührt, und versank dann tagelang in die düsterste Schwermut. Dazu kam noch eine Art abergläubischer Furcht, welche die Herren an ihm bemerkt haben wollen. Er hatte nämlich eine förmliche Abneigung davor, allein zu bleiben, besonders nach Dunkelwerden. Bei seiner sonst so starken und männlichen Natur war diese Eigenheit sehr merkwürdig und erregte häufig Verwunderung.
Das erste Bataillon des 117. Regiments stand schon seit mehreren Jahren in Aldershot. Die verheirateten Offiziere pflegten außerhalb der Kaserne Quartier zu nehmen, und der Oberst hat die ganze Zeit über die Villa Lachine bewohnt, die etwa eine halbe Meile vom Nordlager entfernt ist. Das Haus ist rings von Anlagen umgeben, deren Ausdehnung übrigens an der Westseite kaum dreißig Meter bis zur Landstraße beträgt. Der Oberst und seine Frau nebst dem Kutscher und zwei Dienstmädchen sind die einzigen Bewohner der Villa; Kinder haben die Barclays nicht, auch bekamen sie für gewöhnlich keinen
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