Sherlock Holmes - Sein letzter Fall und andere Geschichten
Logierbesuch.
Nun muß ich berichten, was am Montag abend zwischen neun und zehn Uhr in der Villa Lachine geschehen ist.
Die Frau Oberst ist Katholikin und scheint sich sehr für die St. Georgen-Stiftung interessiert zu haben, welche es sich zur Aufgabe stellt, abgetragene Kleider unter die Armen zu verteilen. Um acht Uhr sollte eine Versammlung stattfinden, und Frau Barclay hatte sich mit dem Abendessen beeilt, weil sie der Sitzung beizuwohnen wünschte. Als sie das Haus verließ, hörte der Kutscher noch, wie sie sich von ihrem Gatten verabschiedete und ihm versprach, recht bald zurückzukommen. In der Nachbarvilla holte sie darauf Fräulein Morrison ab und ging in Begleitung dieser jungen Dame nach der Versammlung, die etwa dreiviertel Stunden dauerte. Um ein viertel auf zehn kehrte die Frau Oberst nach Hause zurück und trennte sich von Fräulein Morrison im Vorbeigehen an deren Wohnung.
Auf der Westseite liegt in der Villa Lachine das Frühstückszimmer, mit einer Glastür, die auf den großen Rasenplatz führt, welchen nur eine niedere, durch ein Eisengitter gekrönte Mauer von der Landstraße scheidet. In dieses Zimmer begab sich Frau Barclay bei ihrer Rückkehr; die Läden waren noch nicht geschlossen, denn abends wurde der Raum selten benützt; sie zündete selbst die Lampe an, klingelte dann und befahl, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, Jane, dem Hausmädchen, ihr eine Tasse Tee zu bringen. Der Oberst hatte im Speisezimmer gesessen, aber als er hörte, daß seine Frau heimgekehrt sei, suchte er sie im Frühstückszimmer auf. Der Kutscher sah ihn noch über den Flur gehen und dort eintreten. Nachdem hat ihn kein Mensch lebendig wieder erblickt.
Als das Mädchen etwa zehn Minuten später mit dem Tee an die Tür kam, hörte sie drinnen zu ihrem Schrecken einen heftigen Streit zwischen dem Obersten und seiner Frau. Sie klopfte an, erhielt jedoch keine Antwort; nun drückte sie auf die Klinke; allein die Tür war von innen verschlossen. Darauf lief sie in die Küche hinunter, holte die Köchin und den Kutscher herauf, und sie lauschten entsetzt auf den Zank ihrer Herrschaft. Man hörte niemand sprechen außer dem Obersten und seiner Frau, darin stimmen alle drei überein. Barclay redete in leisen, abgerissenen Sätzen, so daß die Draußenstehenden nichts verstanden, aber der Ton der Frau Oberst war äußerst gereizt und erbittert; wenn sie die Stimme erhob, vernahm man deutlich, was sie sagte. ›Du elender Feigling‹, wiederholte sie mehrmals, ›was soll nun daraus werden! Gib mir mein verlorenes Leben zurück! Ich ertrage es nicht, je wieder dieselbe Luft mit dir zu atmen, du elender, erbärmlicher Feigling!‹ Plötzlich hörte man den Obersten einen Schrei des Entsetzens ausstoßen, dann folgte ein Krach und ein markerschütterndes Aufkreischen der Frau. Überzeugt, daß ein Unglück geschehen sei, stürzte sich der Kutscher mit aller Gewalt gegen die Tür und versuchte sie aufzusprengen, während drinnen das Gekreisch fortdauerte. Die Tür gab jedoch nicht nach, und die Mädchen konnten in ihrer wahnsinnigen Angst keinerlei Hilfe leisten. Da kam dem Mann ein rettender Gedanke; er lief zur Haustür hinaus und nach dem Rasenplatz, auf den die Glastür führt. Ein Fensterflügel stand offen, wie das zur Sommerzeit gewöhnlich der Fall war, und er gelangte ohne Schwierigkeit ins Zimmer. Seine Herrin schrie jetzt nicht mehr, sondern lag bewußtlos auf das Sofa hingestreckt, während der unglückliche Oberst, mit den Füßen auf dem Armstuhl und dem Kopf auf dem Boden, nahe am Kamingitter tot in seinem Blute lag.
Als der Kutscher sah, daß jede Hilfe für seinen Herrn zu spät kam, war natürlich sein erster Gedanke, die Tür zu öffnen. Allein wider Erwarten stieß er auf ein Hindernis. Der Schlüssel steckte nicht innen im Schloß, und war auch sonst im ganzen Zimmer nicht zu finden. Es blieb dem Mann nichts übrig, als wieder zum Fenster hinauszuspringen. Als er bald darauf in Begleitung eines Polizeidieners und des Arztes zurückkehrte, wurde zuerst die Dame, auf welche begreiflicherweise der stärkste Verdacht fiel und die noch immer bewußtlos war, in ihr Zimmer geschafft. Dann legte man des Obersten Leiche auf das Sofa und begann sowohl diese als den ganzen Raum genau zu untersuchen.
Man fand die etwa zwei Zoll lange Todeswunde am Hinterkopf des alten Herrn; offenbar war ihm ein starker Schlag mit einem stumpfen Werkzeug versetzt worden. Letzteres brauchte man nicht weit zu suchen, denn dicht
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