Sherlock Holmes - Sein letzter Fall und andere Geschichten
einfach den Tatsachen zu folgen, wohin sie mich führen. So kam es, daß mir die Rolle, welche Alec Cunningham gespielt hatte, gleich auf der ersten Stufe der Untersuchung in zweifelhaftem Lichte erschien.
Hierauf besichtigte ich die abgerissene Ecke des Zettels genau, die mir der Inspektor eingehändigt hatte. Es wurde mir sofort klar, daß sie ein Teil des wichtigsten Beweisstückes sei. Hier ist das Papier. Bemerken Sie etwas besonders Auffallendes daran?«
»Die Schrift ist ziemlich ungleichmäßig«, sagte der Oberst.
»Jawohl«, rief Holmes, »auch steht es ganz außer Frage, daß sie von zwei Leuten herrührt, die immer abwechselnd ein Wort geschrieben haben. Sehen Sie hier, die verschiedenen f in ›auf‹ und ›zwölf‹; vergleichen Sie die Schleifen des d und den Buchstaben e, so werden Sie mir gewiß beipflichten. Die Wörter ›auf, wo, etwas, und‹ sind von einer kräftigeren Hand geschrieben als die übrigen, daß läßt sich nicht verkennen.«
»Wahrhaftig, man sieht es ganz genau«, rief der Oberst. »Wozu in aller Welt sollten aber zwei Menschen einen Brief auf solche Art abfassen?«
»Es handelte sich offenbar um ein unlauteres Geschäft, und der eine Schreiber, der dem andern mißtraute, bestand darauf, daß sie die Verantwortung zu gleichen Teilen tragen müßten. Der, welcher das › auf ‹ und › wo ‹ geschrieben hat, war natürlich der Anstifter.«
»Woraus schließen Sie denn das?«
»Man könnte es schon nach dem Charakter der Schrift selbst mit Gewißheit behaupten. Aber ich habe noch bestimmtere Gründe dafür. Betrachten Sie das Papier aufmerksam, und Sie werden zu der Überzeugung gelangen, daß der Mann mit der festeren Hand seine Wörter zuerst geschrieben und den Platz, den der andere ausfüllen sollte, leer gelassen hat. Der Raum genügte nicht immer, weshalb die Wörter ›dreiviertel‹ und ›erfahren‹ so eng zusammengedrängt sind. Von dem Mann, welcher zuerst geschrieben hat, ist der Mordplan ausgegangen.«
»Vortrefflich!«, rief Acton.
»Auch lassen sich noch dreiundzwanzig andere Schlüsse aus der Handschrift ziehen, über Alter, Verwandtschaft und dergleichen, welche aber nur für Schriftkundige interessant sein dürften. Sie dienten alle dazu, um mich in der Ansicht zu bestärken, daß die beiden Cunninghams, Vater und Sohn, den Brief geschrieben hatten.
Nachdem ich so weit gelangt war, mußte ich natürlich noch die Einzelheiten des Verbrechens in Betracht ziehen. Ich ging mit dem Inspektor nach dem Hause und besichtigte alles, was zu sehen war. Die Wunde des Toten rührte von einem Revolverschuß her, welcher auf wenigstens vier Meter Entfernung abgegeben worden war, das konnte ich mit vollkommener Sicherheit feststellen. Die Kleider waren nicht im mindesten vom Pulver geschwärzt. Offenbar hatte Alec Cunningham gelogen, als er behauptete, er habe zwei Männer miteinander ringen sehen, und dann sei der Schuß gefallen. Auch inbetreff der Stelle, wo der Mörder über die Hecke gesprungen war, stimmten Vater und Sohn überein. Dort war aber zufällig gerade ein ziemlich breiter Graben. Da nun auf dessen feuchtem Grunde keinerlei Fußspuren zu sehen waren, so kam ich zu der Überzeugung, daß die Cunninghams überhaupt die Unwahrheit gesagt hatten, und daß gar kein fremder Räuber an dem Tatort zugegen gewesen sei.
Nun galt es, den Beweggrund des seltsamen Verbrechens zu finden. Als ich überlegte, welchen Zweck der erste Einbruchsdiebstahl bei Herrn Acton gehabt haben könne, fiel mir der Prozeß zwischen den beiden Gutsbesitzern ein, von dem Sie, Herr Oberst, gesprochen hatten. Ich fragte mich, ob die Cunninghams nicht vielleicht in die Bibliothek eingedrungen wären, um sich irgend einer Urkunde zu bemächtigen, die bei dem Rechtsstreit von Wichtigkeit wäre.«
»Ganz richtig«, sagte Acton, »das war ohne Zweifel ihre Absicht. Ich habe die begründetsten Ansprüche auf die Hälfte ihres Besitztums. Hätten sie aber auch nur ein einziges meiner Papiere an sich bringen können – die glücklicherweise in dem Aktenschrank des Anwalts liegen – so würden sie mir sicherlich mein Recht streitig gemacht haben.«
»Da hätten wir’s ja«, sagte Holmes lächelnd. »Es war ein gefährliches, tollkühnes Unternehmen, das, meines Erachtens, in dem Kopf des jungen Alec entsprungen ist. – Da sie nichts fanden, suchten sie, um den Verdacht abzulenken, der Tat den Anschein eines gewöhnlichen Diebstahls zu geben, und nahmen die ersten besten Sachen mit, die
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